Lieber Hl. Bischof Gellert!
Vor mir liegen einige Briefumschläge: Ich hatte vor den Ferien den Schülern im siebten Schuljahr ein besonderes „Geschenk“ angeboten: Wer wollte, durfte seine Anliegen, Sorgen und Frust auf einen Zettel schreiben, diesen in den Briefumschlag legen und mir wieder zurückgeben – und nur wer es ausdrücklich wollte, konnte auch seinen Namen dazu schreiben. Ich habe den Schülern gesagt, dass ich ihre Briefe lesen werde und den Inhalt mit an den Altar und ins Gebet nehmen werde. Verschwiegenheit war natürlich garantiert.
Einige Briefe kamen zurück Was mich erschreckt: Manche Kinder werden mit heftigsten Sorgen belastet, erfahren schon in jungen Jahren, wie hart das Leben sein kann. Da ist von der Kindheit nicht mehr viel übrig. Ebenso erschreckend: Viele haben geschrieben, wie gut es ihnen tat, einfach mal über den Ärger, die Sorgen und den Frust schreiben zu dürfen.
Am heutigen Fest der Unschuldigen Kinder gedenken wir der Kinder von Bethlehem, die Herodes ermorden ließ, weil er um seinen Einfluss und seine Macht fürchtet. Es war ein politischer Mord, ein Töten im Auftrag des Staates und vielleicht mag sich so mancher sogar eingeredet haben, das Verbrechen sei aus Gründen der Staatsräson notwendig gewesen. Heute denken wir am Fest der Unschuldigen Kinder an die Kinder, die weltweit von Krieg und Not betroffen sind. Wir denken auch an diejenigen, denen das Leben noch im Mutterleib genommen oder von Anfang an verweigert wird.
Aber ich denke auch an die Kinder um mich herum: Ich denke an die vermeintliche Staatsräson, die Politik, die Kindern in unserem Land so viel Unrecht zufügt. Familie war gestern, heute gibt es nur noch die Mutter, die ihr Kind in einer Krippe unterbringen soll/muss, den Vater, der eigentlich kaum noch Zeit für seine Vaterrolle hat, weil alles wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird. Wir lügen uns in die eigene Tasche: Unser politisches Bestreben nach mehr Ganztagsschule beruht nicht auf pädagogischer Vernunft, ist – sicherlich eine gewagte These – nicht Bildungs-, sondern Wirtschaftspolitik. Kinder sind unsere Zukunft, aber zwischen 8 und 18.00 Uhr sind sie vor allem eines: Ein Störfaktor. Sie behindern die Berufstätigkeit. Der Staat verstaatlicht die Kinder zunehmend, legt ihnen einen täglichen Stundenplan auf ihre Schultern, eine Arbeitsbelastung, bei der wir Erwachsene die Gewerkschaft einschalten würden. Wer die Alternative zu leben versucht, gilt als krasser Außenseiter, als ewig Gestriger und – im Falle der Frau – als Unerlöste, Nicht-Selbstverwirklichte, als Heimchen am Herd, das allenfalls noch auf eine „Herdprämie“ hoffen darf. Es gab diese ganze Diskussion schon einmal. Damals war der Augsburger Bischof der einzige, der sich aus dem Fenster lehnte und eine Lanze für die Eltern (insbesondere) Mütter brach, die ihre Kinder nicht ganz und gar der Schule bzw. den Staat überlassen wollen. Erfolglos. Es ist still geworden um das Thema. In meinem Umfeld werde so manche junge Eltern nachdenklich: Ist das, was man nachmittags, wenn man müde von der Arbeit kommt, was man zwischen 17.00 Uhr und der Gute-Nacht-Geschichte erlebt, ist das noch Familie? Das ist weder qualitativ, noch quantitativ hochwertige Familienzeit. Es ist einfach nur noch der müde Ausklang eines langen Tages.
Unschuldige Kinder. Gewiss: Wir sind nicht Herodes, trachten ihnen nicht nach dem Leben. Aber unsere Gesellschaft ist nicht unschuldig am Werden unserer Kinder: Wir verstaatlichen sie, weil wir ihre Eltern schon längst im Bruttosozialprodukt eingeplant haben. Und indem wir sie verstaatlichen, nehmen wir ihnen das, was sie eigentlich am dringendsten für ihre Entwicklung bräuchten: Ein verlässliches, stabiles Zuhause. Um es noch deutlicher zu sagen: Das Nest, die Geborgenheit, die gesunde Basis. Keine Schule kann das mit noch so vielen Lehrkräften ersetzen – und ich als Vater wollte das auch nicht. Ich möchte mit ihnen die Welt entdecken, Werte diskutieren, ihnen Glauben vorleben – kurzum: mit ihnen und nicht neben ihnen leben.
Mag sein, dass ich hier von Idealen schwärme, die in unseren Familien gar nicht mehr gelebt werden, weil viele es gar nicht können und viele auch schon längst aufgegeben haben. Noch einmal zurück zu den Briefen: Mit ihren Sorgen, Anliegen und Nöten sind sie nur ein Mosaikstein im Leben meiner Schüler. Und vieles weiß ich natürlich auch gar nicht. Aber das wenige, das ich zu wissen glaube, erfahren und erleben darf, lässt mich zu dem Schluss kommen: Sie wünschen sich nichts sehnlicher, als den Frieden zuhause, die Geborgenheit, die heile Familie.
Es sollte uns zu denken geben, dass das Fest der Heiligen Familie und das Fest der Unschuldigen Kinder so nahe beieinander liegen. Heute sind sie näher denn je zuvor, sind auf ganz tiefe Weise miteinander verwoben. Für unsere Familien, besonders für diejenigen, die Tag für Tag Familie gegen alle Bedrängnisse leben, für unsere Kinder und ihre Sorgen, besonders für meine Schüler schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel: St. Gellert, hilf!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen