Ich habe ihm unrecht getan: Eigentlich sollte ich ihn kennen, schon von Kindesbeinen an. Jahrelang habe ich mich nicht getraut, ihn zu fragen. Wo immer wir uns trafen, durfte ich ihn und seine Frau als Menschen erleben, die sich klein machen konnten, auf Augenhöhe mit unseren Kindern gingen und sich nicht für zu erwachsen hielten, um mit den Kleinen den allergrößten Blödsinn zu veranstalten. Sie haben sich in die Herzen unserer Kinder gespielt und ich fragte mich immer wieder: Warum haben sie keine eigenen?
Meine vorschnelle Antwort entprach eher dem Klischee: Beide promovierte Akademiker, beide im Beruf gefordert - young and free. Immer wieder ließ ich mal die eine oder andere Bemerkung fallen, doch mit den Jahren wurde ich vorsichtiger, denn mir kam der Verdacht, dass der Schein trügt. Und wahrlich: Irgendwann brach es heraus aus ihnen: Wir wollen, aber können nicht. Mit gutem saarländischen Humor hat er das gesagt, doch ich habe auch die Trauer und Verzweifelung dahinter gehört.
Plötzlich werden all die Zahlen, die man kaum noch öffentlich diskutiert und anzuprangern wagt, zum persönlichen Schicksal: So viele Fehlgeburten, so viele unglückliche Paare, aber auch so viele Abtreibungen auf der anderen Seite. Wie passt das zusammen? Und wie kann das sein, dass so viele Eltern bereit wären, ein Kind aufzunehmen, während andere aus welchen Gründen auch immer sich nicht in der Lage fühlen, dem Kind im Mutterleib das Leben zu schenken?
In Deutschland ist es fast unmöglich, ein Kind zu adoptieren. Die Hürden sind unglaublich hoch, das Verfahren ewig lang. Nun kam die Nachricht von weit weg, aus einem Land, in dem das Thermometer heute -26 Grad anzeigt. Da ist ein Kind, verlassen von der Familie und der Welt - und es sucht ein zuhause: Das Paar aus Deutschland hat ein kleines Vermögen investiert, viel Kraft, viel Zeit, viele Nerven. Doch all das zählt in diesem Moment nicht mehr: Das Kind lächelt sie an und streckt die Ärmchen aus. Man kommt sich näher, man spürt etwas. Und plötzlich werden aus Mann und Frau in sekundenschnelle Vater und Mutter. In dem Paar reift die Familie. Schwangerschaft und Geburt komprimiert auf wenige Augenblicke und beide sagen: Ja!
Und an mich, an meine Frau und und meine Kinder kommt diese Mail mit den ersten Fotos des Kleinen: Die beiden wollen nicht unsere Zustimmung, aber sie wollen, dass wir ihre Freude mit ihnen teilen. Nicht um zu wissen, dass wir einverstanden sind. Wohl aber zu wissen: Der Junge, den ihr da mitbringt, wird auch bei uns zuhause sein. Willkommen in unserer Familie!
Puer natus, puer donatus est: Der Stall von Bethlehem - plötzlich mitten unter uns.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen