Karfreitag: Wo stehst du?
Fragt man
unsere Firmbewerber, was sie mit dem Karfreitag verbinden, dann kommt u.a. die
Frage: Warum feiern wir diesen Tag eigentlich? Die Spannung ist doch weg! Alle
Jahre wieder der gleiche Ablauf: Palmsonntag. Gründonnerstag. Karfreitag und
Ostern. Wir wissen doch schon, wie es ausgeht: Ja, Jesus wird wie ein König in
Jerusalem empfangen. Ja, Jesus feiert das letzte Abendmahl und danach wird er
von Judas verraten. Und ja, wir wissen, dass er dann am Kreuz stirbt. Und
welche Überraschung: An Ostern steht er von den Toten auf. Alle Jahre wieder dieselbe
Inszenierung. Gut, hier und da ändern sich ein paar Details in der Darstellung,
aber das Drehbuch bleibt doch immer das gleiche.
Was auch
daran liegt, dass das Drehbuch 2000 Jahre alt ist und heilig. Die Vorlage für
das jährlich wiederkehrende Drama der Kar- und Ostertage steht in den Evangelien, liegt also nicht in unserer Hand.
Also bleibt
auch der Ablauf gleich: Jesus wird auch heute nicht vom Kreuz herabsteigen.
Keine himmlischen Heere werden Pilatus
und den Hohen Rat in Jerusalem festsetzen. Und, so traurig es ist, auch heute
werden wir den Tod des Herrn bedenken und noch nicht die Auferstehung. Aber
seien Sie getröstet: Die Auferstehung werden wir morgen Abend feiern. Ganz
sicher. Versprochen.
Das ist
nämlich das Geheimnis dieser Tage: Sie sind zuverlässig, sie sind planbar. Gott
sei Dank ist Gott berechenbar. Zumindest wenn es um Tod und Auferstehung geht. Und so müssen
wir uns nicht wie an manch anderen Stellen mit Regisseuren und anderen Künstlern
auseinandersetzen, die vielleicht um der Provokation, der Modernisierung der
Botschaft wegen oder auch nur weil sie es toll finden, die Geschichte abändern
wollen.
Nein, es
bleibt wie es ist, oder besser: Es
bleibt, wie es war. Seit fast 2000
Jahren eben, seit diesem ersten Einzug
in Jerusalem, seit diesem ersten
letzten Abendmahl, seit diesem ersten
Karfreitag. Es bleibt wie es war. Und morgen wird es eben so sein, wie es war:
Auf den Tod des Herrn folgt die Auferstehung.
Die Frage ist
berechtigt: Wenn wir das Ergebnis doch kennen, warum dann jedes Jahr dieselbe
Aufführung? Dahinter mag auch eine ganz ernsthafte Anfrage liegen: Können wir
diese Tage überhaupt innerlich mitvollziehen? Kann man tatsächlich am Todestag
Jesu trauern, wenn man doch um Ostern weiß? Oder noch provokanter gefragt:
Werden die Schmerzen Jesu am Kreuz nicht erträglicher im Licht der Osterkerze?
Doch hier
liegt eine Verwechslung vor: Das Evangelium ist kein Krimi. Ich kenne das zu
gut: Da hat man über 600 Seiten Spannung vor sich und manchmal juckt es einen
in den Fingern, einfach die letzte Seite zu lesen und zu schauen: Wer überlebt,
wer ist der Mörder. Wer das allerdings tut, verdirbt sich den Spaß am Buch.
Anders beim
Evangelium: Auch wenn wir den Ausgang wissen, so ist das Ganze jedes Jahr neu.
Der Unterschied zum Krimi liegt darin, dass das Evangelium jedes Jahr neu
gefüllt wird. Wir sind keine Leser, keine passiven Zuschauer, keine Besucher
eines Passionsspieles. Jedes Jahr sind wir ganz aufs Neue und geheimnisvoll in
diese dramatischen Tage verwoben. Wir kennen die dramatis personae, die handelnden Personen in diesem heiligen
Spiel: Die Menschen auf den Straßen Jerusalems, die heute Hosanna! und morgen Kreuzige
ihn! rufen. Wir kennen die Namen der Hauptakteure: Judas, der den Herrn ausliefert,
Petrus, der mit dem Schwert dreinschlägt und seinen Herrn dreimal verrät,
Pilatus, Kajaphas, Johannes, der als einziger mit Maria unter dem Kreuz aushält,
Josef von Arimathäa, der Jesus bestattet, der Hauptmann, der unter dem Kreuz
Jesus als den Sohn Gottes erkennt, die Spötter unter dem Kreuz, die Jesus
selbst in seinem Leiden kein Erbarmen entgegenbringen. Wir wissen um die zwei,
die mit dem Herrn gekreuzigt werden, einer, der ihn verspottet, einer, der in
seinem Sterben alle seine Hoffnung auf Jesus setzt. Alle diese Personen und
Figuren sind uns vertraut. Vielleicht nicht in allen Details, aber in den
Grundzügen.
Und doch
fühlt sich jede Karwoche anders an. Denn jedes Jahr finden wir unseren eigenen
Platz in diesem heiligen Spiel. Jedes Jahr müssen wir uns entscheiden, wo wir
stehen. Denn wir feiern keine Erinnerung an vergangene Tage. Nicht rührselig
und sentimental: Weißt du noch, damals, als Jesus verhaftet und gekreuzigt
wurde?
Damals? Nein,
heute! Unser Feiern ist Gegenwart. Wir sind mittendrin. Vergangenheit und Gegenwart
werden eins. Wir wiederholen nichts, aber wir stehen mitten im Evangelium. Und
deshalb Jahr für Jahr der gleiche Text und doch anders: Denn Jahr für Jahr muss
jeder seinen Platz in diesem Text finden, ihn mit seiner Person füllen und ihm
Leben geben.
Wo stehst du?
Wer bist du heute? Hängst du neben Jesus am Kreuz und schreist mit ihm deinen
Schmerz zum Himmel empor? Voller Spott oder voll Vertrauen, heute noch mit ihm
ins Paradies eingehen zu können? Bist du Maria, bist du Johannes, stehst du
unter dem Kreuz und trotzt aller Angst? Bist du heute der Hauptmann, der zum
Glauben findet? Zweifelst du noch? Bist du einer aus dem Hohen Rat, und fragst
dich, warum der, der doch so vielen geholfen hat, sich nun nicht selber helfen
will oder kann? Bist du Judas, dramatisch verstrickt in diesen Tag: Hast du den
Herrn aufs Kreuz gelegt? Bist du Petrus, felsenfest von dir überzeugt und heute
feige abgetaucht in die Dunkelheit?
Wo stehst du?
Wer bist du? Bist du Pilatus, lebst du im Irrglauben, deine Hände wären rein
und deine Weste weiß? Bist du Josef von Arimathäa, fest entschlossen,
wenigstens den allerletzten Dienst zu vollziehen, und deinen Herrn würdig zu
begraben? Oder bist du
ein unbeteiligter Zuschauer, einfach nur verstört, verzweifelt, ratlos, wie es
soweit kommen konnte?
Jeder von uns hat seinen Platz in diesen dramatischen Tagen und
diesem dramatischem Geschehen. Dieser Platz ist nicht festgefügt, nicht wie in
einem Passionsspiel, wo die Rollen für ein Jahr verteilt werden. Unsere Rolle ändert sich vielleicht von Jahr
zu Jahr, je nachdem, in welcher Lebensphase wir sind. Wer trauert, fühlt sich
dem Gekreuzigten näher, als jemand, der gerade ganz oben auf dem sozialen Siegertreppchen
steht. Unsere Rolle kann sich aber auch stündlich wechseln: Jeder von uns füllt diese dramatischen Geschichten mit seinem
Leben. Und wenn wir nachher nach vorne kommen, um das Kreuz zu verehren, dann
werden wohl kaum zwei von uns das gleiche dabei denken und empfinden. Sein
Kreuz wird zu unserem Kreuz, sein Leiden verbindet sich mit unserem Leid, und
seine Hoffnung auf Auferstehung, auf neues Leben, wird auch zu unserer
Hoffnung.
Weil sich unser Leben immer wieder wandelt, brauchen
wir diese scheinbar unwandelbaren Kar- und Ostertage. Damit in der Unbeständigkeit
unseres Lebens eines sicher, fest und
verlässlich bleibt: Auf das Hosanna!
folgt das Kreuzige ihn!, und auf das Es ist vollbracht das freudige Er ist auferstanden!.