Freitag, 17. Juni 2011

Abschied

Das war ein Einsatz wie aus alten Tagen: Der Mann war schwer krank und hatte schon viel mitgemacht. Nun lag er im Sterben und wollte nicht mehr ins Krankenhaus. Der Notarzt hatte Verständnis für ihn und so durfte in dieser Nacht der Mann friedlich zuhause einschlafen.

Der Notfallseelsorger denkt sich: Dass es so etwas noch geben darf. Das Leben beenden im Kreise derer, die man liebt. Abschied nehmen und nach einem langen Leiden auch gehen dürfen.
Dennoch: Der Abschied wird dadurch nicht leichter. Für die Ehefrau ist der Schmerz unendlich groß. Sie haben das Leben gemeinsam gelebt und zumindest dem äußeren Anschein nach erfolgreich: Haus, Hund, Garten und viele Urlaubsfotos.

Aber der Notfallseelsorger spürt auch die Risse: Da ist die Verwandte, die allzu hilfreich in der Wohnung herumwirbelt und ständig von sich erzählt - so aufdringlich, dass es dem Notarzt  irgendwann zuviel wird. Manche Menschen müssen sich ständig in den Mittelpunkt stellen, selbst im Angesicht des Todes. Jedes Wort, jede Situation, jede Erinnerung wird zum Anknüpfungspunkt an die eigene Biografie. Als müsse man sich selbst bestätigen, dass man noch lebt.

Und Notarzt und Notfallseelsorger spüren auch: Hier fehlt das gemeinsame Fundament. Man ist Zweckgemeinschaft, zusammengeworfen ohne Zusammenhalt., verwandt aber nicht verbunden. Der Verstorbene verbindet nicht, sondern sein Tod macht die Risse erst so richtig deutlich. Man kreiste ein Leben lang um sich, hat sich mehr oder weniger gegenseitig bestätigt. Da gibt es nichts, was von außen kommt und Ziel, Hoffnung, Kraft und Verheißung schenkt.

Daher überrascht der Satz mich nicht: Wir sind schon lange aus der Kirche ausgetreten, aber wir sind gläubig - irgendwie, irgendwann, mehr oder weniger. Wir sind nicht regelmäßig in die Kirche gegangen, aber im Urlaub haben wir uns immer Kirchen angeschaut. Kirche als Museum. Das höre ich so oft.

Langsam und vorsichtig suche ich die Trittstufen, die den Trauerprozess heilsam und sanft anstoßen. Der Weg ist nicht gerade und er ist rutschig: So viele verborgene Konflikte, so wenig Fundament und so wenig Halt. Wir lassen uns viel Zeit und erst als die Erzählungen über den Verstorbenen so langsam von der Gegenwart in die Vergangenheit wechseln, darf der Bestatter kommen.

Der Ehemann wird weggebracht: Über zwanzig Jahre gemeinsamen Lebens voller Hoch- und Tiefpunkte. Was bleibt? Liebevolle Erinnerungen - mit Sicherheit. Und auch Schmerz und Trauer, aber Hoffnung? Vielleicht auch die Ahnung, dass das Leben mehr als das Kreisen um die eigene Welt ist, dass es da einen gibt, der vor und über allem Leben steht, das Leben hält und trägt. Dann wäre dieses Ende eines Lebens der Anfang für ein neues Leben mit Gott.


Montag, 13. Juni 2011

Alles dasselbe?

Das nervt mich schon lange: Bei den Konfessionen kann ich die Probleme mit den Feinheiten noch verstehen. Dass mehr oder weniger Außenstehenden bzw. Nichtchristen der Unterschied zwischen katholisch und evangelisch nicht direkt präsent ist, ist nachvollziehbar. Selbt innerkirchlich geht ja auch leider das Gespür für die Unterschiede verloren oder sind vielen diese Unterschiede einfach egal.

Völlig unverständlich ist mir aber, dass Leute, die ihre Bildung mit einem gewissen Stolz vor sich hertragen, kurzerhand den Unterschied zwischen den Weltreligionen einebnen wollen. Ganz gemäß dem modernen Motto: Alles gleich. Und so hört man immer wieder den Satz: Wir glauben doch eh alle an denselben Gott!

Klar: Das ist der einfache Weg. Alles gleich gültig. Tolerant, weltoffen, nicht engstirnig und dogmatisch. Religion light, angepasst an die Moderne.

Vor einiger Zeit sagte mir das ein Chirurg, der Moslem ist. Weil er gerade an meinem Rücken herumschnitt, ersparte ich mir eine Antwort. Er hatte das Skalpell in der Hand und damit - zumindest vorläufig - das bessere Argument.

Um aber deutlich zu machen, dass wir Christen zwar mit Juden und Moslems an den EINEN Gott glauben, dennoch ein anderes Gottesbild haben, habe ich ein Video zusammen gebastelt.

Dass wir uns nicht verführen lassen, auf dem einfachen Weg zu gehen, sondern bereit sind, die Schönheit und Tiefe unseres Glaubens immer neu zu erfassen und mutig zu verkünden, dafür schicke ich ein Stoßgebet zum himmel: St. Gellert und Sel. Gerhard, helft!

Dienstag, 7. Juni 2011

Flurschaden

Mein Freund, der Baum, ist tot - die Sängerin Alexandra trällerte diese Worte 1968. Mir ist das Lied noch aus Kindertagen bekannt. Etwas oberhalb unseres Hauses lag eine große Wiese, auf der es eine Art Höhle gab, die durch Bäume und Büsche gebildet wurde. Das war für alle Kinder aus der Nachbarschaft der geheime Treffpunkt. Auf den Bäumen konnte man prima herumklettern (aber auch herunterfallen). Trotz Höhle und Klettern, trotz Äpfel - ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, einen Baum als meinen Freund zu bezeichnen.

Im Studium wurde mir der Baum nahe gebracht. Komisch nur: Ich studierte nicht Forstwirtschaft oder Biologie, sondern Praktische Theologie. Und bei den Bäumen wurde es sehr praktisch - Meditationen in allen Variationen: Baumscheibe betrachten, Jahresringe zählen, Rinde ertasten und riechen, Zweige knicken und die Bruchstelle meditieren - ach, was kann man damit alles machen! Und das Ganze irgendwie mit dem eigenen Leben verbinden: Eine Delle im Jahresring deutet auf eine alte Verwundung des Baumes hin - tragen wir nicht alle alte Verwundungen in uns? Können wir nicht unser ganzes Leben als Jahresringe darstellen? Wo sind wir verwurzelt? Wer knickt unsere zarten Zweiglein und erzeugt Bruchstellen? Was verleiht meinem Leben frische grüne Farbe, ist für mich die Luft, die mich am Leben hält? Wie sieht es mit meiner Rinde, mit meiner Außenhaut aus? Und so habe ich für meine Legematerialien fleißig Baumscheiben angefertigt und Tannenzapfen gesammelt, damit auch ich für die nächste Baumbetrachtung im Kindergottesdienst, Religionsunterricht und wo auch immer gerüstet bin. Nur ein Borkenkäfer fehlt mir noch.

Toll, was man alles aus einem Baum lesen kann! Symboldidaktisch sehr ergiebig und deshalb wird er auch ausgiebig in der Katechese und im Religionsunterricht verwendet. Schließlich ist der Baum ökumenisch, ja sogar religionsverbindend, muss doch schließlich jeder irgendwann mal Wurzeln schlagen.

Allerdings bleibt ein komisches Gefühl zurück: Was hat das Ganze mit Jesus zu tun? Es gibt eine uralte Verbindung zwischen Baum und Kreuz: Die Kirchenväter sehen im Baum des Kreuzes den neuen Baum des Paradieses, den neuen Baum des ewigen Lebens. Das weiß ich aber nicht vom Studium her: Da haben wir Bäume umarmt, Baumscheiben ertastet, Rinde gefühlt und Blätter zerrieben und gerochen, aber die Theologie ging irgendwie verloren. Wir haben das Symbol ertastet und erlebt, aber die Kirchenväter haben das Symbol gedeutet - und zwar theologisch.

Ortswechsel: Waldfriedhof. Bestattung unter einem Baum. Die Kirche hat damit so ihre Probleme: Bestattungskultur hat ihren Wert, Trauer braucht einen geschützten Ort. Der Tod ist nicht einfach die Rückkehr in die Natur. Wir glauben an die Auferstehung und nicht die Kompostierung. Dumm nur: Wir haben Probleme, unsere Position zu vermitteln. Und mir dämmert: Das ist  auch ein wenig hausgemacht. Sind die Waldfriedhöfler am Ende vielleicht diejenigen, denen wir in der Grundschule dein Freund, der Baum, nahe gebracht haben? Hausgemachter Flurschaden sozusagen. So mancher von den Waldfriedhöflern argumentiert mit auffallend ähnlichen Sätzen, wie ich sie in den Meditationen während meines Studiums hörte.

Symboldidaktik ist gut und schön, aber wie beim Beton kommt es auch darauf an, was man daraus macht. Vor allem: Aus WAS man was macht. Symbol ist nicht eben Symbol. In unserer Liturgie gibt es besonders in Kinder- und Familiengottesdiensten ein Inflation der Symbole. Man wundert sich, was da alles in die Kirche geschleppt wird wird. Mit ein wenig Fantasie kann man aus allem irgendwas weitläufig Christliches herausziehen. Jesus, der Schraubenzieher: Wenn bei dir eine Schraube locker ist, dann hilft er dir. Jesus, der Filzpantoffel - damit wir im Dunkeln keine kalten Füße bekommen....meine Frau ist überzeugt, ich könnte aus allem irgendwas machen.

Man sieht: Die Herausforderung ist eher rhetorischer als theologischer Natur. Nur bleibt es eben auch weitläufig, seltsam unkronkret, menschlich und manchmal auch irgendwie mit sanfter Gewalt zurechtgebogen.

Willi Hoffsümmer, der Papst der Symbolkatechese, hat in seinen Büchern zahlreiche Gottesdienste und Ansprachen mit Symbolen veröffentlicht. Manche davon sind theologisch schlichtweg falsch: Dass er z.B. die Dreifaltigkeit mit den verschiedenen Aggregatzuständen von Wasser erklärt, ist nur nett, aber theologisch gesehen Modalismus vom Feinsten - und der wurde von der frühen Kirche als Irrlehre verurteilt. Warum er nun vor Pfingsten und Dreifaltigkeit  in so vielen Gottesdiensten wieder auferstehen darf? Weil sich viele einfach sagen: Ein besseres Modell haben wir nicht, und so richtig verstehen können wir es auch nicht. Also nehmen wir halt das. Außerdem wirkt es und sieht es gut aus, wenn man da vorne mit Eis, Wasser und Dampf hantiert. Das bleibt den Kindern gut in Erinnerung. Was soll's, wenn die Erinnerung leider von einer falschen Wahrheit kündet.

Es wäre gut, wir würden uns auf das besinnen, was wir seit 2000 Jahren als himmlische Schätze in irdischen Gefäßen mit uns tragen: Symbole, Realsymbole, die sich bewährt, aber auch immer wieder die Gläubigen herausgefordert haben. Der Kirchenraum ist voll davon: Altar, Kreuz, Beichtstuhl, Palmzweige, Weihwasser, Taufbecken, Evangelienleuchter, Weihrauch, Kelch, Evangelium, Fahnen, liturgische Gewänder, unsere Gesten, Riten und vieles mehr. Gereift, bewährt in 2000 Jahren - also bitte keine neuen Symbole bevor die alten verbraucht sind!

Ich habe nichts gegen Bäume, aber ich habe großen Respekt vor Lehrern, Katecheten und Predigern, die nicht beim Baum stehen bleiben, sondern den Baum mit dem Kreuz verbinden. Ich habe Respekt vor denen, die sich den ureigensten christlichen Zeichen und Symbolen stellen, anstatt jeden Alltagsgegenstand solange herumzubiegen, bis er gequält und überstrapaziert ein paar christliche Gedanken hervorbringt, die oftmals über einen christlichen Humanismus nicht herausgehen.

Christentum ist zunächst die Beziehung zu Jesus Christus - dann erst zu den Bäumen im Wald. Das Waldsterben ist nicht bedeutungslos und unwichtig, wichtiger und bedeutungsvoller ist für uns aber das Sterben Jesu am Kreuz und die Wandlung des Kreuzes zum Baum des Lebens.

Und wenn uns die Theologie zu schwer wird, dann bleibt der Rat Wittgensteins: Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Und, so fügt der Diakon hinzu:


Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war,
da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab. 
(Weisheit 18,14)