Samstag, 20. August 2011

Requiescat in pace: virtuelle Zombies

Allen Ernstes: Der Mann ist tot. Definitiv. Suizid. Genau geplant und durchorganisiert. Der Abschiedsbrief ging an einen Freund. Er enthielt keine Dankeschön, keine Erklärung, eher noch letzte Anweisungen für einen letzten Freundschaftsdienst. Doch ging es dabei nicht darum, die Hinterbliebenen zu trösten oder die Hinterlassenschaft zu verwalten. Es ging vielmehr um ein weiteres Sterben.

So makaber es klingen mag: Der moderne Mensch stirbt mehrmals. Und dann ist er noch lange nicht tot. Die Generation Facebook & Co hinterlässt virtuelle Spuren. Ein jeder frage sich selber, auf wie vielen Seiten er registriert ist, wo überall sein Name, sein Bild, seine Lebensdaten gespeichert sind. Es gibt den Herztod, den Hirntod und mittlerweile auch den Netztot. Erst wenn das letzte Passwort gelöscht, die Homepage geschlossen und das letzte Mailkonto aufgelöst ist, erst dann ist man heutzutage wirklich tot.

Das genau sollte der Freund also tun: Den reellen Suizid auf der virtuellen Seite vervollständigen. Doch macht man sich hier nicht selber mitschuldig am Auslöschen einer Person? Das gilt nicht nur Suizidfälle. Auch der ganz normal Versterbende hat heutzutage eine oder mehrere virtuelle Identitäten. Wie muss sich das anfühlen, wenn man als Hinterbliebener alle elektronischen Spuren löschen muss? Wer von uns macht sich darum Gedanken? Wir hinterlassen ein Testament und wissen im Ernstfall, wo die Lebensversicherung liegt. Aber wer hinterlässt schon eine Liste all seiner Passwörter und aller Seiten, auf denen er registriert ist und Blogeinträge, Kommentare, Bilder und Filme hochgeladen hat?

Und wer macht sich Gedanken darum, wie sich das für denjenigen anfühlen muss, der sich einsam am PC stundenlang mit der virtuellen Beerdigung abmühen muss. Es ist was anderes, ob man das Grab eines geliebten Verstorbenen pflegt, oder eben seine Homepage. Oder eben gerade diese Daten löschen muss oder will - oder auf Wunsch des Verstorbenen soll. Es ist eine Beerdigung per Knopfdruck: Eine Taste und alles gelöscht. Ohne Gebet, ohne Psalm, ohne Seelsorge für den Hinterbliebenen am Bildschirm.

Der Freund hat es nicht geschafft. Durch Zufall habe ich ihn wieder getroffen: Er wollte diese Seiten nicht alle löschen. Er konnte es nicht, denn es kam ihm vor, als würde er nachträglich beim Suizid des Freundes Hand anlegen. Und so begegnet er seinem toten Freund immer wieder auf irgendwelchen Seiten. Natürlich ist das schmerzhaft für ihn und für andere genau so. Für viele verwirrend und für manche sicherlich auch irreführend. Wie kann man da Ruhe finden?

Das Internet wird zum Friedhof. Zugleich gaukelt es uns vor, als wäre der, den wir das sehen, gar nicht tot. Dort leben die weiter, die auf Erden schon längst gegangen sind.

Man fragt sich, welche Auswirkungen das auf unsere Gesellschaft in Zukunft haben wird. Wie viele virtuelle Zombies wird es wohl schon geben? Wer wird all diese elektronischen Leichen beerdigen? Wer weiß: Vielleicht ist das eine Marktlücke, ein Dienst, den die Bestattungsfirmen noch anbieten müssen: "Virtuelle Bestattung - wir löschen sie aus!" Vielleicht sollte sich die Kirche darüber Gedanken machen: Beerdigung online.

Nachdenklich schaue ich dem Mann hinterher. Und auf die Fürsprache des Hl. Gellert vermag ich nur noch zu beten:  Herr, lass ihn ruhen in Frieden!