Sonntag, 25. Dezember 2011

Paradiesäpfel

Predigt: Hl. Abend 2011

Sie gehören zur Gattung der Kernobst- und zur Familie der Rosengewächse. Diese Gattung umfasst ca. 52 verschiedene Laubbaumarten. In Deutschland gibt es zwei große Anbaugebiete: Zum einen das Alte Land bei Hamburg, zum anderen die Region rund um den Bodensee. Die Früchte schmecken je nach Züchtung mal säuerlich herb, mal süß, mal sauer, es gibt sie in ganz unterschiedlichen Farben und auch mit vielen Namen: Golden Delicious, Jonagold, Gloster, Boskop, Elstar und viele andere mehr. Es gibt sogar eine japanische Sorte, die  - wenig überraschend – Fuji heißt. All Namen bezeichnen einen Kulturapfel, Malus domestica – die mit Abstand am meisten gegessene Frucht in Deutschland. Meine Lieblingssorte ist die Pink Lady: rosa, knackig, süß-säuerlich. Dieser Apfel weist zudem eine Besonderheit auf: er blüht als erster unter allen Äpfeln, wird aber als allerletzte Sorte geerntet.

In der Bibel kommt der Apfel nicht vor. Wie bitte? Wird nicht gleich am Anfang erzählt, wie Eva ihrem Adam einen Apfel reicht? Tizian, Raffael, Michelangelo, Lukas Cranach, Tintoretto – berühmte Maler haben so den Sündenfall in ihren Bildern dargestellt.

Zur Erinnerung: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, er erschafft die ganze Welt und alles, was lebt. Und diese Welt schenkt er dem Geschöpf, das als einziges sein Ebenbild ist: dem Menschen. Adam und Eva: Mann und Frau, von Ewigkeit her für einander berufen, die Schöpfung zu wahren und durch ihre Fruchtbarkeit weiter zu führen. Gott schaut auf sein Schöpfungswerk und sah: Alles war gut. Gott und Mensch vereint im Paradies.

Doch es ist der Mensch, der die Grenzen überschreitet: In der Mitte des Paradieses steht dieser Baum, dessen Frucht nicht für den Menschen bestimmt ist. Wir kennen das zu gut: Man kann uns die Welt zu Füßen legen. Doch nicht das viele, was wir haben, sondern das eine, das uns verwehrt ist, wird uns zum Stachel im Fleisch.


Grenzerfahrungen fordern uns heraus: Alles darfst du haben, die ganze Schöpfung soll dir dienen, ja, du Mensch bist mein Ebenbild. Kein Geschöpf ist schöner, wertvoller, höher geachtet als du, geliebtes Menschenkind. Nur diese eine Grenze muss es zwischen Gott und Mensch geben: Die Früchte vom Baum des Lebens sind dir verboten. Du darfst im Schatten des Baumes liegen, du darfst dich an der Schönheit dieser Früchte erfreuen, aber du darfst sie nicht pflücken und essen. Denn diese Frucht hebt den notwendigen Unterschied zwischen Gott und Mensch, zwischen Schöpfer und Geschöpf auf. Der Mensch wird zu Gott.

Die Bibel lässt die Schlange als großer Verführerin auftreten und entlastet den Menschen dadurch ein wenig, indem er nicht nur zum Täter, sondern auch zum Opfer wird. Die Schlange überredet Eva, die schließlich die verbotene Frucht pflückt und an Adam weiterreicht. Vielleicht war es doch eine Pink Lady: knackig, süß-säuerlich, verführerisch in Aussehen und Geschmack. Jedenfalls geht die Geschichte böse aus: Der Mensch vergreift sich am Baum des Lebens, er zerstört die paradiesische Einheit mit Gott und seinen Geschöpfen.
Es geht dabei nicht um Äpfel. Nie und nimmer! Es geht vielmehr um die Frucht der bösen Tat: Der Mensch sieht nicht mehr seinen eigenen Wert, der ihm von seinem Schöpfer her als Ebenbild Gottes geschenkt ist, ja, er will sich überhaupt nicht mehr als Geschöpf sehen, sondern selber Gott und Schöpfer, Herr seiner selbst, Herr über andere, Herr über Leben und Tod sein.

Die Weltgeschichte ist voll solcher Gestalten, die sich nach dem Himmel ausstreckten, solcher Halbgötter in allen Farben und Formen. Die Erfahrung zeigt: Wo Menschen sich zu Göttern erheben wollen, öffnen sich nicht die Tore des Himmels, sondern vielmehr die Pforten der Hölle. Das ist mithin ein Grund, warum die Kirche in ihrem Heiligenkalender am 24.12. auch Adam und Eva gedenkt. Nicht der Apfel ist das Problem, sondern der Mensch.

Und gleichzeitig ist es wie bei der Pink Lady: Was am frühesten blüht, wird am Ende geerntet und zur süßen Frucht. Der Sündenfall steht am Anfang der gemeinsamen Lebensgeschichte von Gott und Mensch. Eine bewegte Geschichte voller Wirrungen, Suchen, Fragen, Liebesbeweisen, Verfehlungen und Sünden. Und heute wächst daraus eine ganz besondere Frucht: Der Baum des Lebens spiegelt sich im Holz der Krippe wieder. Die Sehnsucht nach dem Paradies findet heute ihre Erfüllung: Der Mensch muss sich nicht zum Himmel ausstrecken, muss nicht größer werden, als er schon immer ist. Der Mensch muss nicht Gott werden: Gott wird Mensch!
Heute gehen Gott und Mensch eine ganz neue, eine lebendige Gemeinschaft ein. Es ist eine Gemeinschaft der Liebe: das neugeborene, das uns heute seine Hände entgegenstreckt ist klein und schutzlos und wie kein anderes Lebewesen auf unsere Hilfe und mehr noch auf unsere Liebe angewiesen.

Seit dieser Heiligen Nacht in Bethlehem müssen wir jedes Neugeborene mit noch größerer Ehrfurcht empfangen: Ist die Geburt eines neuen Menschen schon für sich genommen ein Wunder, so erinnert sie auch immer wieder auch daran, dass jeder von uns selber ein Wunder ist: ein einmaliges, einzigartiges, unendlich geliebtes Geschöpf Gottes.Wir brauchen nicht nach dem Baum des Lebens zu greifen, der Apfel lockt nicht mehr.

Jeder von Ihnen ist Gottes Ebenbild. Nichts kann Ihnen  diese Würde nehmen, keine Note, keine Prüfung, keine Beurteilung durch wen auch immer. Nicht, was Sie haben, sondern wer Sie sind, ist in Gottes Augen entscheidend.
Schluss mit dem ewigen Strecken und Streben nach oben. Pilgern Sie nicht auf den ausgetretenen Leistungspfaden dieser Welt, sondern pilgern Sie zur Krippe. Machen Sie sich vor diesem Kind klein, um groß zu werden. Oder besser noch: um zu erkennen, wie groß Sie schon immer sind. Wie heilsam ist seine Botschaft: Ich bin für dich geboren. Du bist mir so wertvoll, dass ich zu dir kommen will. Ich will deinen Stall, deine Hütte, dein Haus, dein Herz zur Krippe machen. Die Engel des Himmels sollen darin wohnen, ihr Gloria klingt heute nur für dich allein. Der Himmel schart sich um dich, wo auch immer du bist. Deine Sehnsucht nach Größe und Anerkennung ist gestillt, weil ich, dein Gott, in dieser Nacht zur dir komme, dich heile und von allen Ängsten erlöse. Ich bin bei dir, heute alle Tage, bis an Ende der Welt.

Aus der verbotenen Frucht wird heute durch die Geburt Jesu der Paradiesapfel. Als vor ca. 400 Jahren die ersten Weihnachtsbäume aufgestellt wurden, schmückte man sie genau aus diesem Grund mit Äpfeln. Später begann man diese Äpfel mit Silber und Gold zu verzieren. Der Apfel verschwand, die Schmuckkugel blieb. Kaum einer weiß  heute noch, dass unsere heutigen Christbaumkugeln einmal Äpfel waren.


Schauen Sie genau hin. Und wenn sich Ihr Gesicht in einer solchen Kugel spiegelt, dann denken Sie an diese wunderbare Geschichte von Adam und Eva, von der Sehnsucht nach Größe und Göttlichkeit.
Schauen Sie genau hin. Und wenn sich Ihr Gesicht in einer solchen Kugel spiegelt, dann denken Sie daran: So wie ich bin, bin ich ein Ebenbild Gottes – für mich ist er heute Mensch geworden.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes, gesegnetes, heilendes Weihnachtsfest!

Samstag, 17. Dezember 2011

Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn


Predigt zum Malteser-Gottesdienst
Advent 2011

Liebe Gemeinde, liebe Malteser,
seit knapp einem Jahr gibt es nun die Verknüpfung zwischen den Maltesern und unserer Gemeinde. Als ich an Silvester mit vielen Fragen in das neue Jahr blickte, da wurde mir schnell klar, dass 2011 ein Malteser-Jahr wird. Ein Jahr, in dem ich mich mehr und mehr mit Geschichte und lebendiger Gegenwart der Malteser auseinandersetzen musste. Nie hätte ich gedacht, dass daraus ein solches Abenteuer wird: Helfen ist spannend. Helfen erfordert auch aber, dass man sich auf den einlässt, dem man helfen soll und will. Ich habe im vergangenen Jahr die Malteser auf vielseitige Weise kennen lernen dürfen und durfte dabei immer wieder feststellen:
Wir Malteser leben eine einzigartige Mischung aus medizinischer Hilfe und spiritueller Zuwendung. Der Mensch steht im Mittelpunkt all unseres Handelns: Nie ist er einfach nur ein Unfallopfer, ein medizinischer Notfall. Immer ist er Patient, Mensch mit einer einzigartigen Identität, der von einem auf den anderen Augenblick plötzlich und unerwartet aus der Lebensbahn geworfen wird. Unser Ansatz ist immer ganzheitlich: Wir sehen den Menschen in seiner Not und auch die Not derer, die zu ihm gehören, mit ihm leiden oder gar um sein Leben bangen.

Dieser einzigartige Blick war schon immer der Grundpfeiler der Malteser: Für den Seligen Gerhard, den Gründer und Schutzpatron der Malteser war die Begegnung mit dem Kranken nichts anderes als die Begegnung mit Jesus Christus. Hospital und Kirche waren eins. Die Malteser im Jerusalemer Hospiz legten vor knapp 960 Jahren vor der Heiligen Messe goldbestickte Altartücher auf ihre Patienten. Auf diese Weise machten sie sich immer wieder gegenwärtig, dass der Patient, der kranke und leidende Mensch der Altar war: Hier begegnet uns Christus.
Jeder Mensch, besonders der notleidende Mensch ist unser Herr. Nicht umsonst ist der obsequium pauperum, der Dienst an den Kranken und Armen bis heute fest im Wahlspruch der Malteser verankert.

Im letzten Jahr haben wir in vielen Bereichen viel geleistet: Wir haben Menschen ausgebildet und oftmals waren sie darüber verblüfft, dass ihnen mit den Maltesern auch die Kirche in ganz neuem Licht erschien.
Wir haben Sanitätsdienste geleistet, wir haben geholfen, wir haben gerettet. Und wir haben uns fortgebildet, um noch besser helfen zu können. Vieles wurde geleistet, auf das wir dankbar zurückblicken können, gerade wenn wir bedenken, dass wir eine kleine Schar sind. Aber all unsere Leistung ist immer auch Dienst: Rettungs- und Hilfsdienst.

Ich selber durfte auf einer Fortbildung erleben, wie junge Erwachsene auf ihren Einsatz im Rettungsdienst vorbereitet wurden. Bei aller technischen Vorbereitung, bei allen Fähigkeiten, die wir uns antrainieren und dem vielen Fachwissen, das wir uns aneignen, so konnte ich doch auch feststellen: Ebenso wichtig ist die Sicht auf die menschliche Ebene. Der Blick auf sich selber und die Selbstvergewisserung, für wen und warum man in diesem Dienst unterwegs ist.

Liebe Schwestern und Brüder, der große jüdische Gelehrte Martin Buber überlieferte das folgende Erzählung:
In Rabbi Naftalis Stadt, pflegten die Reichen, deren Häuser einsam oder am Ende des Ortes lagen, Leute einzustellen, die nachts über ihren Besitz wachen sollten. Als Rabbi Naftali eines Abends spät am Rande des Waldes spazieren ging, der die Stadt säumte, begegnete er solch einem Wächter. „Für wen gehst Du?“, fragte der Rabbi ihn. Der Wächter antwortete, fügte aber die Gegenfrage daran: „Und für wen geht Ihr, Rabbi?“ Man sagt: Die Frage traf den Rabbi wie ein Pfeil.

Für wen gehst Du? Die Frage ist vielleicht beiläufig gestellt, die Antwort auf diese Frage ist jedoch geradezu von existentieller Bedeutung: Wenn wir tief in unserem Herzen wissen, in wessen Namen wir unterwegs sind, dann wissen wir, in wem wir uns festmachen, wer uns Kraft gibt und unserem Leben Sinn verleiht. Gerade auch dann, wenn unser Leben dunkel und schwer ist.

Für wen gehst du? In wessen Namen sind wir unterwegs, in wessen Auftrag helfen wir? Jeder Gottesdienst beginnt bereits in der Sakristei. Noch bevor die Glocke geläutet wird und der Einzug beginnt, vergewissern wir uns im Gebet: Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat.

Ist es denkbar, als Malteser so in den Einsatz zu fahren? Malteser ist man nie allein, auch das ist ein Motto, das uns in unserer Ausbildung immer wieder begegnet. Aber das bedeutet mehr als ein Team aus Fachleuten zu sein. Natürlich brauchen wir die helfende, die rettende, die stützende Hand an unserer Seite, den Kollegen/die Kollegin, mit dem/der wir blind zusammenarbeiten können. Aber auch im geistigen Sinne ist man Malteser nie allein, denn auch unser Dienst geschieht im Namen des Herrn.  Er selbst begleitet uns mit seinem Segen, stärkt uns in unseren vielfältigen Diensten den Rücken und gibt Kraft in unserer Schwäche.

Ich durfte erleben, wie gut es jungen Menschen tut, wenn man ihnen für ihren Dienst genau diese Zusage mit auf den Weg gibt: Du bist nicht allein. Du kannst ein Segen sein, weil du gesegnet bist: Gott ist an deiner Seite, auch und erst recht, wenn unsere Hilfe und unser Dienst nach menschlichen Maßstab erfolglos scheint.

Diesen Segen wünsche ich euch: Bei allem Menschlichen und manchmal auch allzu Menschlichen nicht das Himmlische zu vergessen und euch in eurem Beruf immer neu berufen zu lassen, in eurem Dienst immer neu in den Dienst nehmen lassen, durch den, in dessen Dienst wir alle stehen: Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat.

So begleite euch in eurem Dienst sein Segen, damit ihr ein Segen seid und immer wieder zum Segen werdet!

Montag, 5. Dezember 2011

Adventsschock

Predigt zum 2. Advent B, 4.12.2011
Ein Neugeborenes bringt es auf 140, beim Säugling sind es noch 120, beim Schulkind immer noch 90 Herzschläge pro Minuten. Beim durchschnittlichen Erwachsenen liegt der Puls bei 60-80 Schlägen pro Minute. Und das den ganzen Tag, rund um die Uhr.

Der Herzschlag ist eine komplizierte Angelegenheit. Die verschiedenen Teile des Herzens, die Kammern und die Klappen müssen genau aufeinander abgestimmt sein. Ganz gefährlich ist das sog. Kammerflimmern: Das ist ungefähr so, als würde der Organist ein Lied anstimmen und dann würde jeder singen, was ihm gerade einfällt. Einen oder zwei Sänger, für die Takt und Rhythmus Fremdwörter sind, kann die Gemeinde verkraften. Wenn aber alle durcheinander singen, geht es schief.

Nicht anders ist das beim Herz: Wenn der gemeinsame Takt fehlt, dann beginnt das Herz zu flimmern: Alles schlägt wild durcheinander, so dass kein Blut mehr durch das Herz fließen kann. Statistisch gesehen ist dieses Kammerflimmern eine der häufigsten Ursachen für den plötzlichen Herztod. Da hilft Ihnen auch die beste Herzdruckmassage nur wenig: Gegen dieses wilde Durcheinander kommt man kaum an.

Deshalb findet man inzwischen an vielen Stellen in der Öffentlichkeit solche Geräte. Dieser sog. „Automatisierte Externe Defibrillator“ kann Leben retten. Das Gerät ist einfach zu bedienen: Es sagt Ihnen, was Sie tun müssen. Sie müssen es nur öffnen, einschalten und am Körper des Patienten anschließen. Das Gerät erkennt den Herzrhythmus und im Falle eines Kammerflimmerns empfiehlt es Ihnen, einen starken elektrischen Schock auszulösen. Sie müssen dann nur auf die entsprechende Taste drücken und schon jagen je nach Gerät ca. 220 V durch den Körper des Patienten.
Nun werden Sie sich vielleicht wundern und fragen: Wie bitte? So etwas soll Leben retten? Ist es nicht eher so, dass ein Griff in die Steckdose lebensgefährlich sein kann?
Und tatsächlich: Mit diesem Stromstoß wird das Herz erst einmal abgeschaltet. Aber das ist notwendig. Bleiben wir beim Organisten: Wenn wir alle durcheinander singen, wird er vielleicht irgendwann mal kräftig auf die Tasten hauen und laut Ruhe brüllen. Wir zucken dann alle zusammen, hören auf zu singen und sind still. Dann erst kann der Organist versuchen, uns neu einzustimmen und mit uns das Lied im richtigen Takt und Rhythmus zu singen.

So ähnlich wirkt der Defibrillator: Er schaltet das Chaos, das Kammerflimmern am Herzen, ab und sorgt für Ruhe. Danach können wir mit Herzdruckmassage versuchen, den natürlichen Rhythmus wieder in Gang zu bringen.
Übrigens: Sie brauchen keine Angst zu haben, dass Sie den Patienten versehentlich grillen: das Gerät gibt den Stromstoß nur frei, wenn es vorher auch ein Kammerflimmern festgestellt hat.

Wenn es mir gelungen ist, Ihnen die Angst vor diesem Gerät zu nehmen und Sie zu ermutigen den AED im Ernstfall einzusetzen, dann war die Predigt bis hierhin nicht sinnlos. Manche Predigten können gewissermaßen Leben retten.

Damit Sie ihr eigenes Leben auch retten können, gibt es den Advent. Ja, Sie haben richtig gehört: Der Advent ist die Zeit zum Leben retten. Nein, werden Sie sagen: Der Advent ist bestenfalls die Zeit zum Plätzchenbacken und Glühweintrinken. In den meisten Fällen ist der Advent eher die Zeit, in der man von Besinnung zu Besinnung hetzt und sich ständig fragt, was man wem schenkt, wem man noch etwas besorgen muss, was man am Heiligen Abend essen soll und ob man der Großtante mütterlicherseits tatsächlich noch eine Weihnachtskarte schicken muss. Advent ist keineswegs die Zeit der Ruhe und der Stille, eher der betriebsamen Hektik.

Dabei sollte der Advent doch die Zeit sein, in der wir unser Herz für die Ankunft Jesu bereiten. Wer das übrigens nur mit Glühwein und Weihnachtsplätzchen versucht, wird an Weihnachten vielleicht keinen Führerschein in der Tasche, dafür aber ein paar Kilo mehr auf den Rippen haben. Die Vorbereitung auf das Kommen des Herrn, auf die Ankunft Jesu, hat wenig mit Plätzchenduft, heimeliger Stimmung am Adventskranz und Lebkuchenhaus zu tun.

Advent hat vielmehr damit zu tun, unser Herz für die Ankunft Jesu zu bereiten. Im heutigen Evangelium haben wir nichts von Plätzchenbacken und Geschenkeeinkauf gehört. Johannes der Täufer fordert uns vielmehr zur inneren Vorbereitung auf: Bereitet dem Herrn den Weg, ebnet ihm die Straßen. Mit diesem flammenden Appell knüpft Johannes an die uralten Worte des Propheten Jesaja an, die wir in der ersten Lesung gehört haben. Jesaja geht sogar noch ein Stück weiter, indem er die ganze Welt in diese Vorbereitung mit einbezieht und auch das Ziel dieser Vorbereitung deutlich hervorhebt: Alles zielt darauf hin, die Herrlichkeit des Herrn den Menschen zu verkünden: Seht, da ist euer Gott!

Also nicht: Seht, da sind die Geschenke, da steht der Glühwein, da sind die Plätzchen und mittendrin der Tannenbaum.
Es gibt im Gotteslob nur ein einziges Lied, das dieses Evangelium aufgreift: In der Nr. 113 heißt es im Text:
Mit Ernst o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt,
bald wird das Heil der Sünder, der wunderstarke Held,
den Gott aus Gnad allein der Welt zum Licht und Leben
versprochen hat zu geben
bei allen kehren ein.

Es mag uns verwundern, dass hier der Advent als eine ernste Zeit dargestellt wird. Der Text stammt von Valentin Thilo, der dieses Lied 1642 gedichtet hat. Der Mann hatte es nicht leicht: Zwar war er zu dieser Zeit ein angesehener Professor, aber zuvor hatte er viel Bitteres erlebt. Seine Eltern starben an der Pest, der Dreißigjährige Krieg hinterließ Spuren der Verwüstungen und Not.
Der Text drückt die Ernsthaftigkeit des Lebens aus: Die Sünde, unser Versagen, unsere  schlechte Tat, unsere Schwäche ist Bestandteil des Lebens und die Welt braucht nichts dringender als das Heil der Sünder, den wunderstarken Held, der uns aus dem Dunkeln ins Licht des Lebens führt. Zum anderen strahlt in dem Lied aber auch die Gewissheit auf: Gott sendet den versprochenen Erlöser und daher ist es an der Zeit, sich ernsthaft auf ihn vorzubereiten. Nicht nur ein wenig, sondern ganz und gar radikal brauchen wir einen Neuanfang, eine Ausrichtung auf Christus hin.

Wir brauchen im Grunde genommen so etwas wie einen spirituellen Defibrillator: Den Mut, alles, was uns an der ernsthaften Vorbereitung auf Weihnachten hindert, bildlich gesehen platt zu machen. Wie oft hören wir im Advent, dass sich die Menschen über die vielen Termine, den Stress und die Hektik beklagen? Keine Zeit der Ruhe und der Besinnung? Alle zerren von allen Seiten.

Was in der Medizin gilt, das gilt gewissermaßen auch für die Theologie: Der Theologe empfiehlt gegen das geistliche Kammerflimmern den spirituellen Defibrillator: z.B. die Bibel. In diesem Buch steckt die Glaubenskraft und von über 1000 Jahren. Da finden Sie Menschen, die in allen Lebenslagen mit Gott gerungen und am Glauben gewachsen sind. Es gibt in der Bibel nichts, was es nicht gibt. Das ganze Leben kommt darin vor und wird im Angesicht Gottes gedeutet.
Prüft alles und behaltet das Gute (1 Thess 5,21), hat Paulus einst seiner Gemeinde empfohlen. Entscheiden Sie sich zu einem mutigen Schritt: Prüfen Sie alles und streichen Sie dann, was sie nicht brauchen. Statt der Großtante achten Grades noch ein nichtssagendes Geschenk zu besorgen, beten Sie für sie. Wer weiß: Vielleicht ist das genau das, was sie am dringendsten braucht und sich am meisten wünscht?
Haben Sie den Mut, alles erst einmal abzustellen, damit sich dann Ihr Herz ganz neu auf den Advent ausrichten kann und einen neuen, lebendigen Adventsrhythmus findet. Ich bin mir bewusst, dass wir als Gemeinde sozusagen von Risiken und Nebenwirkungen betroffen sein können. Aber für uns kann weniger ja auch mehr bedeuten: Weniger Stress und Hektik, dafür aber ein wirklich besinnliches, ein tieferes, fröhlicheres und zugleich ernsthafteres Weihnachtsfest, bei dem man spürt: Wir sind vorbereitet, wir erwarten tatsächlich die Ankunft des Herrn. In diesem Sinne möge die erste Zeile des Liedes  in uns nachklingen:

Mit Ernst o Menschenkinder, 
das Herz in euch bestellt


Freitag, 2. Dezember 2011

Gut geschult

Meine Adventszeit begann in diesem Jahr schon früher: Vorbereitung wurde ganz groß geschrieben, als ich mit vierzehn jungen Erwachsenen zusammen den Grundlehrgang zum Rettungssanitäter besuchen durfte. Es ging dabei natürlich weniger um die Vorbereitung auf Weihnachten, mehr aber um den Ernstfall. 

Ein Ausbilder stellte uns während des Kurses mit leicht sarkastischem Unterton eine rhetorische Frage: "Warum wollt ihr Rettungssanitäter werden? Klar, um Leben zu retten - habe ich auch mal gedacht!"

Es ist verständlich, dass man nach vielen Jahren im Rettungsdienst die Dinge klarer und auch realistischer sieht. Auch als Notfallseelsorger weiß man: Tote sehen nur im Fernsehen nett aus. Echte Notfälle zeigen sich meistens von ihrer unschönsten Seite. Idealismus und Realität prallen oft hart aufeinander.

Zumindest bei unseren Reanimationspuppen waren wir äußerst erfolgreich. Es ist zwar keine aufgestanden und hat uns dankbar die Hand geschüttelt, aber nach anfänglichen Fehlern kam nie die Rückmeldung: Patient verstorben. Dennoch weiß man, dass man genau das auch erleben wird. Nicht jeder Einsatz ist erfolgreich.

Und gerade deshalb habe ich soviel Respekt vor diesen jungen Menschen. Einige haben gerade Abitur gemacht, sind noch nicht einmal von zuhause ausgezogen. Zunächst konnte man meinen, dass ich da überhaupt nicht hingehöre: Doppelt so alt, verheiratet, Diakon. Das entspricht nicht dem Standard.
Aber wir haben uns gesucht und in sehr vielen Bereichen gefunden: Es ergaben sich sehr oft interessante, tiefgehende, lustige Situationen, in denen ich nie nur nur lernender Kursteilnehmer, sondern immer auch Diakon, Begleiter, manchmal auch so etwas wie der Kurspapi war. Es gab sehr viele persönliche Gespräche über Gott und die Welt, über Kirche, Glauben, Tod und Sterben, über Ehe und Partnerschaft, über Lebensform und Sexualität, über Erwachsenwerden, Retten, Helfen und Scheitern. Und zwischendrin immer wieder die (noch) unbeschwerte Leichtigkeit junger Erwachsener, Humor, Spontanität und Kreativität. Eine sehr lebendige und wohltuende Mischung.

Von vielen Seiten wurde mir bestätigt, dass dieser Kurs anders war. Da gab es den Diakon, der kurz vor der Prüfung segnete, der sich um einzelne kümmerte, hier motivierte, dort tröstete. Da gab im ganzen Kurs immer wieder den Blick auf die menschliche Seite: Nicht nur die der Patienten, sondern auch der jungen Leute, die diese Ausbildung machen. Ihnen gebührt sehr viel Respekt und Unterstützung, denn sie werden sich Situationen aussetzen, denen andere aus dem Weg gehen. Ihr Alltag wird nicht immer nur von Freude und Erfolg gekrönt sein. 

Am Ende haben wir alle bestanden. Ich bin dankbar, dass ich so manchen auf diesem Weg begleiten durfte und auch selber begleitet wurde. Neben all den Techniken, all dem medizinischen Wissen, das wir uns angeeignet haben, haben wir vor allem auch voneinander gelernt. 

Am Schluss habe ich mir aufgrund meines Alters das Privileg herausgenommen, das Wort zu ergreifen und allen zu danken: den Ausbildern für die Geduld und Mühe, den jungen Erwachsenen für die schöne Zeit. Viel  wichtiger als die Note auf dem Zeugnis ist am Ende der Zuspruch: Ich würde mich jederzeit von jedem von euch retten lassen. 

So kann ich diesen jungen Menschen nur wünschen, dass sie auf ihrem weiteren Weg immer mehr werden, was sie jetzt schon sind: ein Segen. 

Und damit der Segen auch im reichen Maße bleibt, zündet der Diakon eine Kerze an, wendet demütig den Blick zum Himmel und betet: Hl. Gerhard hilf!




Samstag, 12. November 2011

Nachlese: Von Tranfunseln und hellen Leuchten


32. So. Jkrs. A: Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen

Predigt vom 6.11.2011

Vor fast auf den Tag genau 48 Jahren, am 25.11.1973, gab es den ersten autofreien Sonntag in der BRD. Vier Wochen vorher wurde der Nahe Osten durch einen neuen Krieg zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten erschüttert. Aus politischen Gründen drosselten  die arabischen Staaten den Ölexport, es kam zur ersten Ölkrise. Mit mehr oder weniger erfolgreichen Methoden versuchte die Politik, sich vom Öl unabhängig zu machen oder aber Öl einzusparen. Als Spätfolge der ersten Ölkrise durften Sie z.B. letzten Sonntag eine Stunde länger schlafen: Die Einführung der  Sommer- bzw. Winterzeit  ist nämlich auch ein Kind jener Krise.

Wenn Öl knapp wird, dann wird es eng bei uns: Man streitet sich, wie lange es noch genügend Öl für unsere Industrie und unsere Autos geben wird. In einem ist man sich aber sicher: Der Vorrat ist begrenzt, die Förderung wird immer komplizierter und teurer. Und so ist es kein Wunder, dass man längst nach alternativen Energieträgern sucht, um der Ölkrise zu trotzen.


Von einer Ölkrise der besonderen Art haben wir auch im heutigen Evangelium gehört: Hintergrund bildet die orientalische Hochzeit. Es war üblich, dass der Bräutigam seine Braut zum Hochzeitsfest aus ihrem Elternhaus abholte. Zehn Brautjungfern gingen dem Bräutigam mit Öllampen entgegen. Sie führten ihn zum Haus der Braut und von dort zogen sie in einem Festumzug zur Hochzeitsfeier, an der natürlich auch die Brautjungfern teilnehmen durften. Es war ein Privileg, als Brautjungfer auserwählt zu sein, und in der Regel waren es die engsten Freundinnen und Verwandten der Braut.

Im Gleichnis läuft aber was schief: Fünf der Brautjungfrauen geht unterwegs der Sprit aus. Der Tank ist leer und den Reservekanister haben sie nicht dabei. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf: der Versuch, die Situation zu retten, endet damit, dass die fünf törichten Jungfrauen vor verschlossener Tür stehen. Die Hochzeit findet ohne sie statt.

Nun kann man sich fragen: Warum werden sie so hart bestraft? Warum nennt Jesus sie eigentlich töricht? Denn schaut man in den Text, so sind diese Jungfrauen an ihrem Unglück nicht schuld: Sie waren vorbereitet, sie hatten ja Lampen dabei, hatten sich schön gemacht und für die Hochzeit geschmückt. Alle zehn hatten sich auf den Weg gemacht, alle zehn gingen dem Bräutigam entgegen. Was also machten sie falsch?

Wenn einen eine Schuld an ihrer  Ölkrise trifft, dann doch wohl den Bräutigam: Der lässt zwar seine Braut nicht sitzen, aber warten. Und das auch ziemlich lange. Zumindest so lange, dass alle zehn vor Müdigkeit einschliefen. Erst mitten in der Nacht kommt der Bräutigam endlich. Pünktlichkeit war wohl nicht seine Stärke. Seine überaus große Verspätung bringt die Brautjungfern nun in Bedrängnis: Eigentlich müsste man doch erwarten, dass sich der Bräutigam gnädig zeigt, sich entschuldigt, oder sich sogar selber  um das Ölproblem kümmert. Doch das Evangelium erwähnt  an dieser Stelle den Bräutigam überhaupt nicht. Denn soweit kommt es nicht: Die jungen Frauen erarbeiten selber eine Lösungsstrategie.
Man darf sich nicht täuschen lassen: Das sind nicht einfach fünf kluge und fünf törichte Jungfrauen, die  Zehn verstehen sich durchaus als Weggemeinschaft. Es ist nicht so, dass den einen die anderen einfach egal wären oder die klugen die törichten auslachen würden. Nein, man bzw. frau versucht zunächst, das Problem gemeinsam zu lösen. Und dabei stoßen sie sehr schnell an eine Grenze: Die schonungslose Analyse ergibt, dass das Öl definitiv nur für fünf reicht. Man kann nicht teilen. Es geht einfach nicht, weil es nicht für alle reicht. Im Gegenteil: Würde man das Öl aufteilen, dann würde am Ende niemand mehr mit brennender Öllampe dem Bräutigam entgegen ziehen.

In ihrer Not machen sich fünf auf den Weg, um möglichst schnell nachzutanken. Und diese Entscheidung wird ihnen zum Verhängnis, denn am Ende hat die Hochzeitsgesellschaft nicht auf sie gewartet, sondern ist bereits weitergezogen. Am Ende hängt an der Tür des Hochzeitssaales ein Schild mit der Aufschrift: Geschlossene Gesellschaft. Wer zu spät kommt, den straft das Leben.

Und auch hier mag sich Widerstand regen: Wenn es schon die Schuld des Bräutigams war, dass den Brautjungfern das Öl ausging, hätte er dann nicht wenigstens warten können? Oder sie eben später noch in den Hochzeitssaal hinein lassen können? Im Gegenteil: Als der Bräutigam endlich mal zu Wort kommt, kommt keine Entschuldigung für sein Verspäten, zeigt er keine Reue oder Milde, sondern sagt auch noch diese harten Worte: Amen, ich kenne euch nicht.

Liebe Gemeinde, das Gleichnis von den zehn törichten und klugen Jungrauen ist anstößig. Es entspricht so wenig unserem Rechtsempfinden: Wir sind doch nicht Schuld an dem Unglück! Mein Gott, wir waren doch pünktlich, wir waren vorbereitet! Wie hätten wir denn ahnen können, dass der Bräutigam uns so lange warten lässt? Und wir haben uns doch um eine Lösung, um Nachschub bemüht!
Ich weiß nicht, wie Sie es sehen: Ich aber habe Mitleid mit den törichten Brautjungfern. Meine Sympathie gilt ihnen und nicht dem Bräutigam.

In der Tradition hat man das Gleichnis meistens als Ermahnung ausgelegt: Die Lampe eures Glaubens muss leuchten. Sie muss notfalls solange die Dunkelheit der Welt erhellen, bis der Bräutigam kommt. Sorgt also vor, seid klug und seht zu, dass dem Licht des Glaubens nicht das Öl ausgeht. Das ist sicherlich auch eine richtige Deutung des Gleichnisses.

Es gibt aber noch einen anderen Zugang. Weg vom Öl, suchen wir nach einem alternativen Energieträger! Denn es geht vielleicht gar nicht mal um das Öl der Lampe. Der Fehler der törichten Jungfrauen besteht vielleicht gar nicht darin, dass sie nicht mit dem Verspäten des Bräutigams rechneten und kein Reserveöl dabei hatten. Töricht ist vielleicht nur die Art und Weise, wie sie darauf reagieren, indem sie nämlich losziehen und versuchen, noch auf die Schnelle neues Öl zu kaufen.

Denn in der Zwischenzeit kommt der Bräutigam und was dann passiert ist ein rauschendes Fest der Liebe: Wenn der Bräutigam kommt, dann ist keine Zeit zum Warten. Liebe drängt nach vorne. Eine Hochzeit ist ein lebendiges Fest. Der Bräutigam will mit seiner Braut feiern, er hat keinen Blick für die zehn Brautjungfrauen, er nimmt sie nur am Rande wahr. Wahrscheinlich hat er im Liebesrauch noch nicht einmal bemerkt, ob da fünf oder zehn Jungfrauen mit Öllampen standen. Denken Sie doch nur mal an Ihre eigene Hochzeit: Letztlich hat man nur einen Blick für die geliebte Braut bzw. den geliebten Bräutigam. Sicher: Der Blumenschmuck, die Dekoration und die Auswahl der Lieder, all das ist auch wichtig, aber es steht nicht im Vordergrund.
Im Vordergrund geht es bei einer Hochzeitsfeier nicht um Dinge, sondern um Beziehung. Es geht nicht um Öl, es geht um Liebe, um Freude, Freundschaft und Vertrauen.
Das ist der eigentliche Fehler, den somit die klugen wie die törichten Jungfrauen begehen: Der Entschluss, sich diesem Rausch der Liebe, diesem freudigen Festzug zu entziehen, anstatt mit leeren Lampen mitzugehen.


Liebe Gemeinde, Christus ist der Bräutigam, die Kirche ist die Braut. Und wenn der Bräutigam einmal wieder kommt, dann wird er in seiner Kirche nicht nur helle Lampen und leuchtende Vorbilder vorfinden, sondern so manches schwache Licht, vielleicht auch so manche Tranfunsel, die wahrlich keine große Leuchte ist. Aber darauf kommt es letztlich nicht an: In der Taufe wurde unsere Taufkerze am Osterlicht entzündet: Christus hat Ihr Kind erleuchtet, es soll dem Herrn entgegengehen wenn er kommt in Herrlichkeit, heißt es im Ritus. Das wahre Licht, mit dem die Kirche und jeder von uns dem Herrn entgegengehen, ist nicht das Öl in unseren irdischen Lämpchen. Das wahre Licht ist Christus selber. Er will jeden von uns beim himmlischen Hochzeitsmahl dabei haben. Natürlich sollen wir uns  darauf vorbereiten, soll unser  Glaube brennen, sollen wir ein Licht sein in der Welt.

Aber wenn es trotz aller Bemühungen am Ende knapp wird, dann sollen wir nicht töricht sein und in kopflose Panik verfallen, sondern Christus vertrauen: Er ist das Licht der Welt, er hat sogar das Dunkel des Todes erhellt. Da wird er unser Lämpchen auch noch zum Leuchten bringen. Christus ist gewissermaßen unser alternativer Energieträger. In diesem Sinne: Lassen Sie sich von spirituellen Ölkrisen nicht beeindrucken. 

Sonntag, 6. November 2011

In Memoria II

Gräbersegnung: Meine Töchter begleiten mich als Ministranten auf dem Friedhof. Wir gehen von Grab zu Grab. Für meine Kinder ist der Gang über den Friedhof  Religionsunterricht mit den Füßen: Sie sehen und entdecken die Vielfalt der Gräber, die unterschiedlichen Gestaltungen und bewundern die vielen Wege, den Verstorbenen Gesicht und Namen zu geben.Ich war früher selber Ministrant und  lernte auf diese Weise einen sehr kindlichen und zugleich natürlichen Umgang mit Friedhof, Sterben und Tod. Damals habe ich viele Fragen gestellt, heute stellen meine Kinder mir diese Fragen: Sie wollen wissen, wer da begraben ist, wer das war und woran er gestorben ist. Vor allem, wenn es sich um sehr junge Menschen handelt. Besonders betroffen sind sie von Kindergräbern. Sie wollen wissen, warum sich manche Menschen verbrennen lassen, warum andere anonym bestattet werden und was die vielen Symbole bedeuten.

Meine Kinder lernen, die Menschen unserer Gemeinde mit ganz anderen Augen zu sehen: Zu vielen gehören Verstorbene. Hinter jedem Namen verbirgt sich ein Gesicht und eine ganz persönliche Lebensgeschichte: Der Gang über den Friedhof ist ein Gang durch die Geschichte unserer Gemeinde. Inzwischen sind auch mir viele dieser Namen vertraut: Viele habe ich selber gekannt, manchen sogar selber beerdigt. So manchen sehe ich noch vor mir, an viele habe ich noch lebendige Erinnerungen: Die Küsterin, die auf ihre stille Weise in der Sakristei wirkte. Der betagte Arzt, der für jeden ein offenes, freundliches Wort hatte. Der Mann im Rollstuhl, der immer an der gleichen Stelle saß und dessen Platz bis heute leer geblieben ist. Der alte Mann, der seiner Frau so schnell in Grab gefolgt ist. Beide waren zu Lebzeiten ein faszinierendes altes Ehepaar, haben das ganze Leben mit seinen Höhen und Tiefen miteinander geteilt. Jetzt sind sie bei Gott vereint.

Und dann die vielen Hinterbliebenen: Auf dem Friedhof erfährt man im Angesicht der Gräber so manches, was im Alltag verborgen bleibt. Die ansonsten so unscheinbare Frau in der Kirchenbank ist auf dem Friedhof die Mutter, die auch nach über dreißig Jahren noch über den Tod ihres Sohnes trauert. Viele trauernde Mütter und Väter trifft man hier. Aber auch viele längst erwachsene Kinder, die dankbar an den Gräbern ihrer Eltern und Großeltern stehen.
Und auch Leute, die mit Kirche erst einmal gar nichts zu tun haben, sich aber freuen, wenn man sie einfach mal anspricht. "Soll ich ihr Grab auch segnen?" Keiner lehnt ab, im Gegenteil: Manchen trifft man dann noch an einem zweiten, dritten Grab wieder, wo er schon wartet.

Es ist gut zu wissen, dass wir an Tagen wie heute über den Friedhof gehen und all diesen Menschen noch einmal im Gebet für ihren oft so unscheinbaren, stillen, einfachen und doch so lebenswichtigen Dienst danken. Und es ist gut, wenn unsere Ministranten und Kinder Tage wie diese erleben, denn so wachsen sie in die Trauerkultur unserer Gemeinde hinein: Der Tod gehört zum Leben.


Samstag, 5. November 2011

In Memoria

Ich musste zweimal hinschauen bis ich erkannte, was das ist: ausgemusterte Grabsteine. Irgendwann im Sommer bei einer Tour unterwegs entdeckt. Nichts bleibt ewig bestehen. Auch Gräber nicht. Die Steine kommen zurück zum Steinmetz, der die Inschriften entfernt und dann den Stein wieder neu verwendet.

In vielen Totenanzeigen liest man Sätze wie: "In unseren Herzen wirst du ewig leben!" oder "Solange noch jemand an dich denkt, bis du nicht tot!". Der Tod hinterlässt eine schmerzhafte Lücke. An vielen Stellen gedenken wir unserer Toten und noch mehr denken wir in unserem Herzen an diejenigen, die wir ganz persönlich verloren haben. 

Und dennoch: Es wäre traurig, wenn das Überleben des Todes vom Gedenken der Hinterbliebenen abhängen würde. Denn irgendwann gibt es niemanden, der sich noch in Liebe an mich erinnert. Unsere Namen verblassen und selbst in Stein gemeißelt überlebt mein Name meinen Tod nicht auf ewig. Wer davon sein Heil abhängig macht, der wird spätestens dann in tödliche Vergessenheit geraten, wenn der Friedhofsgärtner den Grabstein abtransportiert.

Man kann nicht allein in der Erinnerung weiterleben. Nach dieser Lesart von Auferstehung wären all die Personen, die es aus welchen Gründen auch immer in unsere Geschichtsbücher geschafft haben, noch "lebendig", mein Urgroßvater aber eben tot. Und es sind nicht unbedingt die Guten und die Besten, die es in die Geschichtsbücher geschafft haben.

Nichts bleibt ewig. Auch nicht der Grabstein mit meinem Namen. Gut zu wissen, dass Gott mir versprochen hat: Ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir! (Jes 43,1) 

Wenn wir morgen mit Weihwasser unsere Gräber segnen, dann erinnern wir uns an die Taufe, wo Gott uns mit unseren Namen angesprochen hat:  Mein Name in Gottes Hand - Hoffnung über den Grabstein hinaus.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Verwundbar


Der Anfang des Kurses ist chaotisch: Ein Haufen Jugendlicher, gerade mal um die vierzehn Jahre alt. Laut, unruhig, quietschlebendig, nicht gerade hochkonzentriert, eine Mischung zwischen noch müde und schon völlig aufgedreht. Es gibt da auch Freundschaften, man kennt sich über die Schule, aber ein Team sind sie noch lange nicht. Und fragt man sie, warum sie die Ausbildung mitmachen, kommen ganz unterschiedliche Antworten. Besonders erwähnenswert: "Ich wollte gar nicht in den Kurs, habe keine Ahnung, warum ich jetzt hier bin!"

Sechst Tage später sieht das so aus: Fünfzehn Jugendliche präsentieren sich in der Schule als Schulsanitäter. Begleitet vom Kurs des Vorjahres (den "Erfahrenen") und den Ausbildern demonstrieren sie stolz ihre neu erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten. Sie zeigen Verbände, leiten Klassenkameraden und Lehrer bei der Reanimation an. In ihren gelben Warnwesten mit der Aufschrift "Schulsanitätsdienst" wirken sie plötzlich so erwachsen und es scheint, als seien in den letzten Tagen alle auch ein Stück größer und selbstbewusster geworden. Nun gut, es gibt da auch Grenzen, über die man schmunzeln kann: Eine Schülerin traut sich nicht so recht, einem Lehrer den Blutdruck zu messen, aus Angst, sie könne was falsch machen und würde dann von der Schule fliegen. Und alle Kursteilnehmer sind auch schon ein gutes Stück zum Team zusammen gewachsen: Denn auch das haben sie gelernt, dass sie im Ernstfall zusammen arbeiten müssen.

Zwischen diesen beiden Terminen liegt eine anstrengende Zeit. Wir haben viel von ihnen verlangt: Die normale Projektwoche erstreckte sich über vier Vormittage. Die Schulsanis fingen schon drei Tage früher an und sie hatten auch erst am späten Nachmittag Feierabend. In der Zwischenzeit haben wir sie nicht geschont: Es war lustig, es war spannend, aber es war auch ernst und anstrengend. Bei allem Spaß musste auch gelernt werden, dass es hier um mehr als nur ein einmaliges Projekt ging: Erste Hilfe ist im Ernstfall lebensrettend. Und daher muss das Wissen sitzen, müssen Handgriffe routiniert ablaufen. Da dürfen die Ausbilder keine Kompromisse eingehen.

Im Laufe der Woche konnte man sehen, dass sich das was bei den Jugendlichen verändert: Sie wurden ernster (trotzdem hatten wir noch sehr viel Spaß) und so manchem wurde klar, dass ihm hier eine große Verantwortung zugetraut wurde. Das ist vielleicht der wichtigste innere Fortschritt: Die Erkenntnis, dass wir ihnen tatsächlich zutrauen, im Ernstfall das Richtige zu tun und so unter Umständen Leben zu retten. Daran kann man als junger Mensch wachsen und reifen. Die Botschaft lautet: Du bist gut, du kannst das, du schaffst das! Das hat Nachwirkungen über die Projektwoche hinaus. Für manchen Lehrer ist das gewöhnungsbedürftig: Sei immer nett zu deinem Schüler - im Ernstfall kann er dein Leben retten!

Ich bin sehr dankbar, dass diese Jugendlichen sich für diese Ausbildung und dann auch den Dienst als Schulsanitäter zur Verfügung stellen: Sie haben sich in großem Maße engagiert, viel Freizeit geopfert. Am  Abend des letzten Kurstages waren alle todmüde, aber glücklich. Ein wenig Kinderfreizeitfeeling stellte sich ein: Man muss Aufhören, wenn es am schönsten ist. Es ist ein Geschenk, Jugendliche auf solche Weise begleiten zu dürfen, mitzuerleben, wie sie wachsen und reifen, Verantwortung für sich und andere übernehmen.

Für mich persönlich war es eine ganz besondere Zeit: Viele dieser Schüler kenne ich nun schon seit der fünften Klasse oder sogar noch von der Grundschule oder durch die Pfarrgemeinde. Ich darf sie schon seit langem im Unterricht begleiten, manche kenne ich über meine Tochter auch persönlich sehr gut. Sie sind mir über die Jahre hinweg ans Herz gewachsen, sind immer auch "meine" Kinder. Jetzt sind sie wieder ein Stückchen erwachsener geworden - das geht ans Herz.

Und gleichzeitig sind sie noch so verletzlich, in vielem noch Kind. Auch das dürfen wir nicht vergessen und es ist unsere Verantwortung, sie zu begleiten und und auch weiterhin zu unterstützen. Tatkräftig durch Aus- und Weiterbildung. Ganz gleich, wann und wo man Erste Hilfe leisten muss: Man  exponiert sich, denn man übernimmt Verantwortung. Helfer sind auch verwundbar: Viele helfen nicht aus Angst, Fehler zu machen. Wer hilft, besiegt die Angst, aber Fehler kann (und darf) er trotzdem machen.

Daher benötigen sie auch die Unterstützung im Gebet: Und so zünde ich für jeden eine Kerze an und bete zum Himmel: St. Gellert hilf!

Sonntag, 16. Oktober 2011

Panem et Circenses

Ein Anruf am Abend. Die Frau am Telefon schießt gleich los: Auf einer Reise nach Israel hat man in ihrer Gruppe ausführlich über den Besuch des Papstes diskutiert. Kurz gesagt: Alle waren dagegen. Nicht gegen den Papst, wohl aber gegen das, was er gesagt hat. Aber noch viel mehr hat man sich über das aufgeregt, was er nicht gesagt hat.

Und dann kommen alle diese Themen wie aus der Pistole geschossen. Was denkst du über...(Luft holen): Wiederverheiratung, Frauenweihe, Gemeinsames Abendmahl, Demokratie in der Kirche und schließlich immer und immer wieder das Thema der angeblich so verklemmten Sexualmoral der katholischen Kirche. Ich kann kaum zuhören: In schneller Folge kommen die Fragen und im Grunde genommen habe ich kaum Zeit zum Antworten. Alsbald erschleicht mich das bittere Gefühl: Es geht auch gar nicht um meine Antworten. Die will man überhaupt nicht hören, geschweige denn sich ernsthaft mit den einzelnen Themen auseinandersetzen. Es geht nicht um einen aufrichtigen Dialog, sondern nur darum, dass ich mir diesen Monolog aus Frust und Forderungen anhöre. 

So ergeht es mir oft in letzter Zeit. Dabei bin ich in puncto Forderungen mit Sicherheit die falsche Adresse. Das wissen meine Monologpartner, aber sie wollen wenigstens meine uneingeschränkte Solidarität (mit wem auch immer) und meine grenzenlose Zustimmung, dass sich in der Kirche gefälligst was zu ändern habe. Jetzt und gleich.

Panem et circenses, Brot und Spiele war das Motto im alten Rom. Die Gesellschaft macht Druck: Wer den Massen gefallen will, der muss mit der Zeit gehen. Zugeständnisse machen und dabei auch mal fünfe gerade sein lassen. Und immer wieder geht es um Brot im gemeinsamen Abendmahl und um vermeintliche Sexspiele. Daher hat man dem Papst bei seinem Besuch eine Liste aller möglichen Forderungen vorgelegt. Matthias Matusek sprach vom Papst als "Oberkellner aus Rom", dem man einfach seine "Bestellungen diktiert" habe: Nun, lieber Kellner der Taverna Romana, bringen Sie bitte mal ein paar nette Geschenke herbei. Der vermeintliche Kellner hat die Erwartungen nicht erfüllt: Ohne Gastgeschenke und ohne Zugeständnisse ist er abgereist. Immerhin: Selbst dem Philosophen David Precht, der sich als Atheist bezeichnet, erschien die Begrüßungsrede des Bundespräsidenten als "unhöflich", habe er doch "seine eigene Biografie" in einen Forderungskatalog an die Kirche umgewandelt. 

Und so wirkt der Besuch des Papstes noch nach: Panem et circenses, Brot und Spiele wurden nicht gewährt, also war der Besuch zwar nett, aber letztlich für die (deutsche) Kirche fruchtlos.

Nun sehe ich das erwartungsgemäß anders: Mich stimmt hoffnungsvoll, dass der Papst den Blick über den Tellerrand geweitet hat. Denn wir Deutschen sind tatsächlich nicht der Nabel der Welt. Wir sind Teil einer Weltkirche. Auf meinem Haus weht eine Vatikanfahne: Was anfangs vielleicht noch ein Gag war (als Gegenpool zur WM-Flaggen-Hysterie), ist inzwischen Überzeugung: Ich gehöre einer Gemeinschaft an, die sich in ihren Werten und Normen weltweit orientiert. Das sollten wir nie vergessen. Denn damit sind wir Katholiken immun gegen nationalistische Tendenzen. Unser Glaube ist nicht deutsch, unser Glaube ist katholisch, weltumspannend. Die deutschen Katholiken machen gerade mal zwei Prozent der Weltkirche aus - und ihre Zahl sinkt beständig. Gemessen an dieser Zahl wirkt es zuweilen paradox und arrogant, mit welcher Selbstsicherheit viele glauben, unsere deutschen Fragen und Vorstellungen müssten den Takt der Kirche vorgeben. 

Der im Juli 2011 in Mannheim eröffnete Dialogprozess lässt daher viele Fragen offen: Ist das überhaupt ein Dialog? Oder geht es nur um Forderungen? Die diskutierten Themen (sofern sie diskutiert werden) kursieren seit Jahrzehnten in der Kirche - jeder Theologiestudent wird regelmäßig damit konfrontiert, wenn nicht sogar belästigt. Aber wo waren die kritischen Stimmen, die während bzw. nach dem Papstbesuch sich gegen diese Forderungsmentalität deutscher Politiker und Parteien wehrten? Warum hat niemand den Mut gehabt, den Forderungen nach Veränderungen zunächst einmal die Forderung nach Dialog, nach Forschung, Studium, Erfahrungsaustausch, Erkenntnisgewinn und Meinungsbildung entgegenzusetzen? Kurzum: Wer wagte es, den vermeintlichen Reformthesen wohlbegründete Antithesen entgegenzusetzen, damit dann in einem dialogischen Prozess eine Synthese gefunden werden kann? Und wer hatte den Mut, die Grenzen des Dialoges aufzuweisen? 

Letztlich war es der Papst selber, der in erstaunlichem Maße die Ruhe bewahrte. Benedikt ließ sich nicht provozieren. Der deutsche Papst ist längst in Rom angekommen und er ist sich bewusst, dass er nicht der Papst der Deutschen, sonder der Papst der weltweiten katholischen Kirche ist. Daher fand er wohlüberlegte und klare Worte und machte bei seinem Besuch zwei Dinge klar: Über Dogmen lässt sich nicht verhandeln. Es gibt im Glauben feste Wahrheiten, die man nicht nach Belieben abändern kann. Was gestern wahr ist, ist auch heute wahr und muss auch morgen noch wahr sein. Damit widersprach er der in unserer Zeit so beliebten Relativierung der Wahrheiten. Kirchliche Fragen lassen sich nicht mit einem Federstrich klären, sie bedürfen der theologischen Diskussion und sorgsamer Abwägung. Und zweitens: Alle Reformen und Prozesse innerhalb der Kirche bedürfen der Verankerung in der Tradition und der weltweiten Gemeinschaft. 

Wenn das im Dialogprozess seinen gesunden Niederschlag findet, dann hat er in meinen Augen eine Chance. Anders wird er lediglich viele Bäume das Leben kosten, weil er tonnenweise Abschluss-, Zwischen- und Ergebnisprotokolle hervorbringen wird, die sich im Bücherregal nett ausmachen, aber letztlich nur Studenten lesen - und auch nur weil sie es müssen. Ich spreche da aus leidvoller Erfahrung: Zahllose Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz musste ich mir einverleiben, Texte der Gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer und - schmerzlicher Höhepunkt - die ebenso zahlreiche wie trockene Dokumente über den Konziliaren Prozess über Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Allein der Titel lies mich schon erschaudern.

Der Dialogprozess ist auf fünf  Jahre angelegt, die Themen sind sehr weit gewählt und dementsprechend wird auch die Fülle der Dokumente sein. Man fragt sich, was da am Ende herauskommen soll, außer viel Papier? Was wird man mit dem Ergebnis machen? Man wird es nach Rom schicken, denn da gehört es hin. Und dort wird man sich die notwendige Zeit nehmen, die Thesen aus Deutschland in den weltweiten Kontext der Kirche zu setzen. Und wem dieses Schema bekannt vorkommt, der liegt völlig richtig: Es gibt nichts Neues unter der Sonne (Koh 1,9). So erging es nämlich schon sehr vielen Papieren aus Deutschland: Vor dem Hintergrund der lebendigen afrikanischen und asiatischen Kirche relativiert sich unser deutscher Thesenkatholiziusmus sehr schnell.

Aber: Ist das wirklich das, was die (deutsche) Kirche braucht? Braucht sie nicht vielmehr einen Prozess über den Dialog als einen Dialogprozess? Und zwar darüber, wie man die Grundwahrheiten unseres Glaubens wieder in die Gesellschaft transportiert ohne sich ständig selber im Weg zu stehen? Wie kann es z.B. sein, dass wir Religionslehrer an Schulen haben, die ihre eigene Kirchenkritik an den Schülern abarbeiten (was die meisten Schüler gewaltig nervt)? Wie kann es sein, dass in unseren eigenen Reihen Hauptamtliche jeglicher Couleur lieber in der Kirche politisieren als in der Gesellschaft missionieren? Und wie kann es sein, dass wir in weiten Kreisen der Kirche fast nur noch über die Reform als über den Glauben der Kirche sprechen?

Mich stimmen die vielen Jugendlichen hoffnungsvoll, die mit dem Papst die Hl. Messe in Berlin und die Vesper in Freiburg gefeiert haben. Denn das Verrückte an der Sache ist: Gerade bei Jugendlichen mache ich die Erfahrung, dass eben dieses katholische Festhalten an Werten und Wahrheiten eine gewisse Faszination ausmacht. Wir sind der letzte Fels in der Brandung, die letzte Reibungsfläche, die herausfordert: das ist störend, das ist nervend, das ist Salz in den Wunden unserer Gesellschaft. Aber es ist gerade für Suchende und Heranwachsende auch heilend, bildend und richtungsweisend.

Nach der Wahl Josef Ratzingers zum Papst wurde in Deutschland gejubelt: Wir sind Papst! Jetzt haben viele Zeitungen geschrieben, dass dieser Ruf inzwischen verklungen sei. Ich kann dazu nur sagen: Gott sei Dank!

Im Hinblick auf die deutsche Kirche bleibt mir daher nur ein: St. Gellert hilf!




Freitag, 14. Oktober 2011

Weh getan

Über Jahre hinweg sammelt man so seine Erfahrungen in der Notfallseelsorge und auch wenn es erschreckend klingt: Obwohl jeder Einsatz einzigartig ist, jeder Mensch in Not ein Höchstmaß an individueller Zuwendung und Betreuung verdient, so gibt es doch auch gewisse Routinen. Wenn die Einsatzmeldung kommt, hat man aufgrund seiner Erfahrung eine gewisse Vorstellung, welche Bilder, welche Abläufe einen erwarten. Man kann auch einigermaßen abschätzen, wie lange ein Einsatz dauern wird. Und doch kann man damit völlig daneben liegen. Es gibt auch für erfahrene Notfallseelsorger noch Neues, noch Einsätze, die unter die Haut gehen und lange nachwirken. 

Vor kurzem musste ich das auf drastische Weise erleben. Zunächst klang es nach einer Routinemeldung: Reanimation, wahrscheinlich mit negativem Ausgang, also häuslicher Todesfall. Doch vor Ort sah das dann so aus: Mutter mit zwei Kindern. Die beiden Kinder haben gefrühstückt, nun wird es Zeit, sich für den Kindergarten fertig zu machen. Beim Haarekämmen sackt die Mutter ganz plötzlich in sich zusammen und bewegt sich nicht mehr. Es wird eine Weile gedauert haben, bis die Kinder realisierten, dass es sich hier nicht um einen Spaß, ein Spiel, auch nicht um einen plötzlichen Anfall von Müdigkeit handelt: Mama wacht einfach nicht auf, Mama braucht Hilfe - wir brauchen Hilfe. Die ältere der beiden Schwestern vollbringt mit ihren knapp fünf Jahren eine außergewöhnliche Leistung: Sie sucht das Telefon und findet aus einen Berg von Zetteln auf dem Tisch genau den mit der Telefonnummer der Großeltern. Mein Sohn ist im gleichen Alter und ich bin sicher, dass er das nicht könnte.

Wie viel Zeit ist bis zu diesem Anruf bereits vergangen? Die Großeltern kommen in die Wohnung und alarmieren den Notarzt. Doch am Ende ist jeder Einsatz vergeblich.

Als ich an den Einsatzort komme, sind die Kinder bei Nachbarn. Diese haben eine kleine Boutique und werden an diesem Vormittag zu Helden: Sie lassen die Kinder mit den Schuhen und Kleidern, die eigentlich zum Verkauf gedacht sind, Modeschau spielen. Sie gehen mit ihnen auf den Spielplatz, kochen für sie, sind einfach für sie da. Und ihr Hund auch.

Die Mutter war jung, sie war sportlich, dynamisch, alles, was uns die gängige Werbung als gesund und vital suggeriert. Ihr Tod kam völlig unerwartet. Die Großmutter kann den Tod überhaupt nicht fassen, erst als die Einsatzkräfte das Haus verlassen, findet sie langsam wieder Ruhe. Sie setzt sich neben ihre Tochter und hält ihre Hand. So hat sie das früher auch gemacht, als die Tochter noch klein war, als sie krank war, Angst hatte oder sich einsam fühlte. Es ist ihr letzter Dienst als Mutter an ihrer Tochter, ein stiller, zärtlicher Dienst mit der Botschaft, dass sie ihr Kind auch im Tod nicht allein lassen wird.

Wir warten auf den Vater. Er braucht zwei bis drei Stunden und diese Stunden sind voller Gespräche. Die verstorbene Mutter wird in den Worten noch einmal lebendig: Sie erhält einen Namen, ihr Leben wird noch einmal greifbar. Und immer wieder pendele ich zwischen diesen beiden Welten: Hier das Haus der Trauer, dort das Haus kindlicher Freude. Die Kleinen stellen den Laden auf den Kopf, sie fühlen sich dort wohl, auch wenn zumindest die größere der beiden eine leise Ahnung hat, dass irgendwas nicht stimmt: "Mama ist entweder im Krankenhaus oder tot", sagt sie irgendwann ganz sachlich zu uns. 

Als der Vater endlich kommt, braucht auch er seine Zeit, den Tod seiner Frau im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Wir nehmen uns diese Zeit, es gibt keinen Grund zur Eile. Schließlich kommt der Moment des Abschieds, als die Mutter von Bestatter abgeholt wird. Stunden sind inzwischen vergangen und für den Notfallseelsorger kommt nun was ganz Neues: Die Kinder müssen zurück ins Elternhaus. Ich bereite den Vater vor, suche mit ihm einen Weg, wie er in dieser Situation seinen Kindern begegnen kann. Wir suchen die Trittsteine, die Halt geben, den Pfad im Dunkeln.

Also gehe ich zu den Kleinen und breche das fröhliche Spielen ab. Ich mache mich klein vor ihnen und sage ihnen, dass wir nun nachhause gehen. Ich versuche, das Geschehene zu erklären, aber mit welchen Worten sagt man zwei Kindergartenkinder, dass ihre Mutter tot ist? Das allerwichtigste sage ich zuerst und immer wieder: Der Großen, dass sie alles richtig gemacht hat, dass sie prima reagiert hat. Und dann: Euer Papa ist da, eure Großeltern, die Mama nicht.

Die Nachbarin begleitet mich. Sie nimmt die Große, ich die Kleine an der Hand und so gehen wir über die Straße. Jeder, der uns sieht, weiß, dass das kein leichter Gang. Auch wenn die Kinder fröhlich hüpfen und lachen. Doch ich weiß: Auf der anderen Seite wartet ein Zuhause, dass nicht mehr so ist, wie es war. Es ist keine Rückkehr in die heile kindliche Welt, denn es fehlt die entscheidende Person. Eine Mutter ist unersetzlich. 

Normalerweise spenden Notfallseelsorger Trost und versuchen sie, eine gute Struktur zu finden, die die Betroffenen möglichst schnell und umfassend in ihr soziales Netzt einbindet. Aber bei diesem Einsatz war das zumindest für die Kinder vordergründig anders: Der Notfallseelsorger führt die Kinder in die unheilvolle Situation hinein. Natürlich: Die Situation war vorbereitet, so gut es ging. Und der Weg war der richtige. Dennoch bleibt das Erlebte hängen. Kindlich gesprochen: Manchmal tut Notfallseelsorge auch weh. 

Ungefähr zwei Wochen später komme ich nachhause und finde einen Zettel auf meinem Tisch. Irgendwie hat die Großmutter über die ortsansässige Kirchengemeinde meine Telefonnummer erhalten und sich bei meiner Frau herzlich für meinen Einsatz bedankt. Das kommt selten vor, ist aber eine schöne und sicherlich wohltuende Rückmeldung.

Kinder haben ihre ganz eigene Weise, mit dem Tod umzugehen. Auf uns Erwachsene wirkt das manchmal unbedarft. Und dennoch: Die Schlag geht tief und gräbt sich wie bei einem Baum tief in den Stamm. Die Jahresringe werden für immer von dieser Katastrophe erzählen. Dem Glaubenden verheißt der Baum des Kreuzes Hoffnung und Auferstehung, trotz aller Wunden im Inneren. 


Am Ende kann man daher die Familie, insbesondere die Kinder nur noch nach oben in Richtung Himmel abgeben. Und eindringlich beten: St. Gellert hilf!






Dienstag, 27. September 2011

Strafbank

Lassen wir das Ganze im Allgemeinen, damit sich niemand auf den virtuellen Schlips getreten fühlt, dann hört sich das so an: An einem beschaulichen Spätsommertag treffen sich an einem malerischen Ort an der Bergstraße geweihte Herren, um sich auszutauschen. Das machen sie regelmäßig, weil irgendjemand mal festgelegt hat, dass in der Kirche jeder mit jedem im Dialog bleiben muss. Manchmal ist das ja auch ganz sinnvoll, oftmals fragt man sich aber, ob man seine Zeit nicht anders verbringen sollte.
Ein Diakon fiel schon allein dadurch auf, dass er (mal wieder) der einzige mit Collarhemd war. Dass die Runde nicht nur im Hinblick auf modische Vorlieben äußerst heterogen war, zeigte sich dann auch in den folgenden Gesprächen. Am Anfang stand die Frage, ob denn ein Diakon JEDEN Sonntag am Altar stehen muss (!). Es soll ja Pfarrer geben, die das nicht mögen. Und Diakone, die sonntags mal lieber in der Bank sitzen und mit ihrer Familie Gottesdienst feiern wollen.

Nun sind diese Fragen ja schon längst geklärt: Dass Geistliche nicht in der Bank sitzen sollen, hat Rom schon 2004 in seiner Instruktion Redemptionis Sacramentum (Art. 128) angemahnt. Der Geweihte gehört an den Altar. Denn die Weihe ist kein Job, sondern eine Berufung zu einer Lebensform. Der Diakon steht da auch nicht aus Spaß an der Freude, sondern in erster Linie gibt er denen ein Gesicht, für die er diakonisch tätig ist: die Trauernden, die Verzweifelten, die Mutlosen und von Sorgen geplagten, all die nimmt er mit an den Altar ganz nah an das Geheimnis von Eucharistie und Wandlung. Das ist die Aufgabe des Diakons und diese Aufgabe ist nicht nur diakonisch für die Betroffenen, sondern auch missionarisch notwendig für die Gemeinde: Der Diakon ist das Störbild im Altarraum, die optische Verzerrung, mit der die Gemeinde immer wieder auch darauf hingewiesen wird, dass Nachfolge stets auch dienende Nächstenliebe bedeutet.
Dass ein Pfarrer den Diakon einfach mal in die Bank verweist, weil er ihn aus irgendwelchen Gründen nicht am Altar haben möchte, ist kirchenrechtlich fragwürdig und theologisch höchst bedenklich. Wie kann man gemeinsam Gottesdienst feiern und zur Kommunion gehen, wenn man nicht nebeneinander am Altar stehen will?

Es ist auch menschenunwürdig, denn geht man davon aus, dass der Diakon seine Berufung auch wirklich im 7x24Stunden-Modus lebt, dann nimmt man ihn mit seiner Berufung nicht ernst. Und auch den Bischof nicht, der den Mann nach gründlicher Überprüfung seiner Berufung geweiht hat. Letztlich nimmt man damit auch Christus nicht ernst, von dem die Berufung ja ausging.

Noch seltsamer ist das Argument, der Diakon wolle doch sicher mal mit seiner Familie gemeinsam feiern. Gibt es zwischen Altarraum und Kirchenbank einen kilometerweiten Graben? Sind Kirchenbank und Altarraum zwei getrennte Welten ohne jegliche Verbindung? Wohl kaum: Meine Familie und ich feiern doch gemeinsam dieselbe Hl. Messe in derselben Kirche, hören dasselbe Evangelium und empfangen denselben Leib des Herrn. Wer immer auch den Diakon freundlicherweise mit seiner Familie in der Bank vereinen möchte, dem sei gesagt, dass sich der Diakon mit seiner Familie schon so seine eigenen Gedanken gemacht hat, wer wo während der Hl. Messe sitzen soll -sowas klärt man üblicherweise schon lange vor der Weihe. Mal ganz davon abgesehen, dass inzwischen die Mehrheit meiner Familie im Altarraum sitzt, da meine Kinder ministrieren. Konsequenterweise müsste also meine Frau mit unserem Jüngsten in den Altarraum kommen.

Hinter all dem steckt oftmals eine ganz andere Absicht: Es geht gar nicht um die diakonische Familienzusammenführung in der Kirchenbank, es geht vielmehr um den Dienst des Kommunionhelfers. Da gibt es nämlich regelmäßig Probleme. Rein rechtlich ist das natürlich schon geklärt: Auch das steht in Redemptionis Sacramentum (Art. 88, 154): Der Geweihte ist ordentlicher, der Kommunionhelfer hingegen außerordentlicher Kommunionspender, dessen Einsatz auf Notfälle beschränkt ist. In Deutschland hat man  jedoch vielerorts die Not zum Normalfall erklärt. 

Das Verrückte ist die völlig verquerte Argumentation: Man macht sich meistens noch nicht einmal Gedanken darüber, warum man an dieser Unterscheidung zwischen ordentlichem und außerordentlichen  Spender festhält. Man redet nicht über Theologie und ihre normative Umsetzung im Kirchenrecht. Man setzt dem Recht die Barmherzigkeit und dem Amt die Würde des Kommunionhelfers entgegen (von der Würde des Diakons redet keiner): Der getaufte Laie hätte doch einen wichtigen Dienst auszuüben und es sei doch unmenschlich, ihm diesen Dienst zu verweigern. So etwas hört man auch aus dem Mund geweihter Männer. Es geht nicht um Theologie, sondern um pastorale Zweckmäßigkeit, vielleicht auch nur darum, sich keine Konflikte mit den Laien aufzuhalsen und am Ende als Konservativer dazustehen. Also muss man im Konfliktfall (falls der Diakon halsstarrig ist und auf seinen Dienst besteht) zumindest im Dialog bleiben und einen Kompromiss suchen.

Der ist in der Theologie und schon gar nicht im Kirchenrecht nicht vorgesehen. Das Thema steht nicht auf der Agenda eines innerpfarrlichen Dialogprozesses, gehört nicht zur pastoralen Verhandlungsmasse. Denn - man staune - das Gegenteil von Recht ist nicht Barmherzigkeit, das Gegenteil von Recht ist Unrecht. Und Unrecht tut man dem Diakon, von dem man erwartet, dass er seine Weihe mal kurzerhand negiert und sich gefälligst in die Bank setzt und keinen Ärger macht. 

Aber die Theologie sagt was anderes: Wenn der Diakon die Ikone des dienenden Christus sein soll, dann ist doch gerade die Ganzhingabe Christi im Sakrament des Altares der diakonischste Moment überhaupt. Hier geschieht doch Diakonie in Hochform: Der Diakon lebt aus der Eucharistie und indem er die Kommunion spendet, vollzieht er in der Hl. Messe das, was er im Alltag auch leben soll: Den Armen, den Gebeugten, den Trauernden und Verzweifelten Christus bringen. Gottesdienst und Weltdienst fallen hier zusammen. In diesem Dienst kommt das Dienstamt der Kirche voll zum Ausdruck und findet das Sakrament der Weihe seine volle Entfaltung (vgl. Redemtionis Sacramentum, Art. 154)

Wir haben in der Kirche - völlig zu Recht - eine große Hochachtung vor der Würde der Laien und ihres Dienstes. Wer aber das Sakrament der Weihe gegen die (Tauf)würde der Laien ausspielt, der wertet das Weihesakrament zum reinen Formalakt ab. Gemäß dem Motto: Der Kommunionhelfer ist schließlich getauft, der kann das auch. Die Frage ist aber nicht, ob er es kann, sondern ob er dazu beauftragt ist. Man stelle sich eine analoge Situation beim Ehesakrament vor: Abends im Schlafzimmer....der freundliche nette Nachbar: Können kann er schon, aber soll er auch??? Da käme keiner auf die Idee, den Ehemann mal auf die Bank zu verweisen, gemäß dem Motto: Die Eheschließung ist doch nur ein formaler Akt. Und den lieben Nachbarn darf man ja auch nicht in seiner Würde als Mann verletzen.

Wir haben in der Kirche zuweilen einen seltsamen Umgang mit unseren Sakramenten, in dem wir sie verbiegen und zurechtlegen, wie wir es gerade brauchen. Jedes Sakrament ist mit einer ganz konkreten Lebenssituation und einer daraus resultierenden Lebensform verbunden. Man ist nicht teilzeitgetauft, teilzeitgeweiht, teilzeitgefirmt oder teilzeitgetraut. Das Sakrament der Weihe ist mit Rechten und Pflichten verbunden, die sich zunächst aus der Theologie ergeben. Aus unterschiedlichen Rechten und Pflichten eine unterschiedliche Würde abzuleiten, ist mehr als unredlich. In vielen Fällen ist es populistische Kirchenpolitik. Bis in höchste Kreise hinein werden diese theologischen Wahrheiten einfach ignoriert.

Die Eucharistie und die Weihe sind die beiden Sakramente, denen wir in der Kirche derzeit am meisten zusetzen: An der Eucharistie wird gebastelt, sie wird umgeformt, nach Gutdünken und spontaner Laune verändert wie man will. Und die Weihe wird ebenfalls ganz nach Bedarf für wichtig oder nebensächlich erklärt. Interessanterweise am allermeisten von den Geweihten selber oder denen, die für sie Verantwortung tragen. Man freut sich über jeden, der sich weihen lässt, aber ist verstimmt, wenn er tatsächlich auch in aller Konsequenz als Geweihter leben will.

Da bleibt mir nur noch ein Stoßgebet: St. Gellert, hilf!









Mittwoch, 7. September 2011

Weihrauch & Kuhstall

Das fiel mir auf: Im Darmstädter Echo wurde am 30.08. über einen evangelischen Gottesdienst im Landkreis Dieburg (Hippelsbach) berichtet. Das Besondere: Der Gottesdienst fand im Kuhstall statt. Und er hatte auch ein eigenes Thema: "Tierschutz". Sogar ein Junge wurde getauft. Des weiteren wurde berichtet, dass die Kühe sich von dem Gottesdienst nicht stören ließen.

Ungefähr zur selben Zeit hatte ich mit meinem Referendar ein Gespräch über Liturgie und Mystagogie: Wie kann man Menschen zur Liturgie führen, ihnen die Schönheit der Riten und Symbole nahe bringen, ihnen helfen, Liturgie mit Leib und Seele zu feiern?

Passenderweise ging es in dem Gespräch konkret um Weihrauch, seine Bedeutung in der Liturgie, die Symbolik  und deren Hintergrund. Für uns Katholiken ist Weihrauch - oder sollte er es zumindest sein - ein Zeichen unserer besonderen Würde. Früher wurde er nur in Tempeln und im Palast des Herrschers eingesetzt, aus ganz profanen Gründen: In Zeiten, in denen  mangels Kanalisation und Dusche der Alltag wortwörtlich zum Himmel stank, wollte man wenigstens den Göttern und dem Kaiser den Wohlgeruch des Weihrauchs gönnen. Weihrauch war ein Zeichen der Wertschätzung und auch das im wahrsten Sinne des Wortes, war er doch aufgrund einer aufwändigen Produktion und der langen Transportwege sehr teuer. Für den Normalsterblichen gab es keinen Weihrauch.

In der Bibel hat Weihrauch noch andere Bedeutungen: Zum einen ist er natürlich auch hier ein Zeichen der Göttlichkeit. Deshalb bringen die Hl. Drei Könige Weihrauch an die Krippe und erfüllen so den einfachen Stall mit göttlichem Duft. Der Weihrauch macht deutlich, dass durch die Gegenwart des Gottessohnes der einfache Stall zum wahren Tempel geworden ist.
Und dann gibt es da noch die bekannte Stelle aus Psalm 141: Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor dir auf. Hier wird der Weihrauch zur Verbindung zwischen Himmel und Erde: Er zieht uns aus der Schwere des Alltags geradezu spielerisch in die Höhe zum Himmel hinauf. Das ist Liturgie: Der Aufstieg des Menschen aus dem Irdischen ins Himmlische.

Ein Gottesdienst im Kuhstall? Mit dem Thema "Tierschutz"? Das ist für mich befremdlich: Das Thema jedes Gottesdienstes ist immer Gott selber. Gottesdienst ist keine Infoveranstaltung oder politische Demonstration. Es geht zunächst um Gott, um seinen Dienst an uns und unsere Antwort an ihn.
Und der Kuhstall? Natürlich: Dahinter steht wahrscheinlich der gut gemeinte Gedanke, dass Gott doch überall in der Welt zugegen ist und besonders dort, wo es uns gewissermaßen stinkt. Und vielleicht wird so mancher ja gerade auf die Krippe und den Stall verweisen, wo es an Weihnachten sicherlich auch nicht nach gut bürgerlicher Festtagsküche duftete.

Aber dabei verkennt man, dass eben gerade durch die Gegenwart Christi dieser Stall aus dem Alltäglichen herausgehoben wurde, was dann ja auch - wie oben erwähnt - durch den Weihrauch deutlich wurde.
All das ist in unserer Liturgie symbolisch ausgedrückt: Wenn der Diakon die Gemeinde beweihräuchert, dann eben genau deshalb, um zum einen die hohe Würde und den unendlichen Wert jedes Getauften deutlich zu machen. Aber auch, um unser Beten nach oben zu ziehen, damit sich unsere irdisch-menschliche Liturgie mit der himmlischen Liturgie der Engel verbindet, wir geradezu in den Himmel gehoben werden.

Ein Gottesdienst im Kuhstall ist gut gemeint, aber schlecht durchdacht. Er zieht uns eben nicht aus dem Alltag empor, sondern lässt uns wortwörtlich mitten im Mist sitzen. Und ob der Junge tatsächlich glücklich ist, wenn er eines Tages erfährt, dass er im Kuhstall getauft wurde? Ist das wirklich die Umgebung, die diesem einmaligen Fest angemessen ist? Wie anders klingt das doch, wenn man mit einem gewissen Stolz und innerer Anteilnahme sagen kann: Getauft in der Kirche St. Michael.

Für Katholiken gehört die Taufe in die Kirche. Aus gutem Grund, denn der Getaufte wird in die Reihe der Gläubigen gestellt, die durch die Zeiten hindurch die Kirche lebendig hielten. Das beginnt mit den Aposteln (symbolisiert durch die Apostelleuchter), geht über den Märtyrer, dessen Reliquien in den Altar eingefügt wurden, bis über die Figuren der Heiligen hinein in die Gegenwart der konkret vor Ort versammelten Gemeinde: Man wird in die Kirche hinein getauft, nicht im Kuhstall einsortiert.

Dahinter steht auch der Glaube, dass unsere Kirche eben auch ein Sakralbau ist: In diesem Sakralbau feiert immer auch die ganze Kirche, die sich dort in jeder Hl. Messe unsichtbar um den Altar versammelt. Das kann kein Kuhstall. Oder eher gesagt: Er passt nicht zu diesem feierlichen Anlass. Kein Mensch käme auf die Idee, die UNO-Vollversammlung in einen Kuhstall zu verlegen, warum also die Vollversammlung der Getauften, der Engel, der himmlischen Scharen und aller Heiligen mit Gott? Und deshalb feiern wir auch für gewöhnlich unsere Gottesdienste dort, wo sie hingehören: in der Kirche, erfüllt vom Duft des Himmels, der uns heiligt und zum Himmel emporzieht.

Natürlich gibt es Ausnahmen und ist der Gottesdienst auf der grünen Wiese auch möglich. Aber dann im entsprechenden Rahmen, wie man es z.B. bei den Weltjugendtagen sehen kann.

Die Gefahr besteht jedoch eher darin, dass man allzu leichtfertig das Gotteshaus heute gegen den Kuhstall, morgen gegen die Bar und übermorgen gegen die Bahnhofshalle austauscht. Sakrale Handlungen brauchen einen sakralen Rahmen - und auch einen sakralen Duft.









Samstag, 20. August 2011

Requiescat in pace: virtuelle Zombies

Allen Ernstes: Der Mann ist tot. Definitiv. Suizid. Genau geplant und durchorganisiert. Der Abschiedsbrief ging an einen Freund. Er enthielt keine Dankeschön, keine Erklärung, eher noch letzte Anweisungen für einen letzten Freundschaftsdienst. Doch ging es dabei nicht darum, die Hinterbliebenen zu trösten oder die Hinterlassenschaft zu verwalten. Es ging vielmehr um ein weiteres Sterben.

So makaber es klingen mag: Der moderne Mensch stirbt mehrmals. Und dann ist er noch lange nicht tot. Die Generation Facebook & Co hinterlässt virtuelle Spuren. Ein jeder frage sich selber, auf wie vielen Seiten er registriert ist, wo überall sein Name, sein Bild, seine Lebensdaten gespeichert sind. Es gibt den Herztod, den Hirntod und mittlerweile auch den Netztot. Erst wenn das letzte Passwort gelöscht, die Homepage geschlossen und das letzte Mailkonto aufgelöst ist, erst dann ist man heutzutage wirklich tot.

Das genau sollte der Freund also tun: Den reellen Suizid auf der virtuellen Seite vervollständigen. Doch macht man sich hier nicht selber mitschuldig am Auslöschen einer Person? Das gilt nicht nur Suizidfälle. Auch der ganz normal Versterbende hat heutzutage eine oder mehrere virtuelle Identitäten. Wie muss sich das anfühlen, wenn man als Hinterbliebener alle elektronischen Spuren löschen muss? Wer von uns macht sich darum Gedanken? Wir hinterlassen ein Testament und wissen im Ernstfall, wo die Lebensversicherung liegt. Aber wer hinterlässt schon eine Liste all seiner Passwörter und aller Seiten, auf denen er registriert ist und Blogeinträge, Kommentare, Bilder und Filme hochgeladen hat?

Und wer macht sich Gedanken darum, wie sich das für denjenigen anfühlen muss, der sich einsam am PC stundenlang mit der virtuellen Beerdigung abmühen muss. Es ist was anderes, ob man das Grab eines geliebten Verstorbenen pflegt, oder eben seine Homepage. Oder eben gerade diese Daten löschen muss oder will - oder auf Wunsch des Verstorbenen soll. Es ist eine Beerdigung per Knopfdruck: Eine Taste und alles gelöscht. Ohne Gebet, ohne Psalm, ohne Seelsorge für den Hinterbliebenen am Bildschirm.

Der Freund hat es nicht geschafft. Durch Zufall habe ich ihn wieder getroffen: Er wollte diese Seiten nicht alle löschen. Er konnte es nicht, denn es kam ihm vor, als würde er nachträglich beim Suizid des Freundes Hand anlegen. Und so begegnet er seinem toten Freund immer wieder auf irgendwelchen Seiten. Natürlich ist das schmerzhaft für ihn und für andere genau so. Für viele verwirrend und für manche sicherlich auch irreführend. Wie kann man da Ruhe finden?

Das Internet wird zum Friedhof. Zugleich gaukelt es uns vor, als wäre der, den wir das sehen, gar nicht tot. Dort leben die weiter, die auf Erden schon längst gegangen sind.

Man fragt sich, welche Auswirkungen das auf unsere Gesellschaft in Zukunft haben wird. Wie viele virtuelle Zombies wird es wohl schon geben? Wer wird all diese elektronischen Leichen beerdigen? Wer weiß: Vielleicht ist das eine Marktlücke, ein Dienst, den die Bestattungsfirmen noch anbieten müssen: "Virtuelle Bestattung - wir löschen sie aus!" Vielleicht sollte sich die Kirche darüber Gedanken machen: Beerdigung online.

Nachdenklich schaue ich dem Mann hinterher. Und auf die Fürsprache des Hl. Gellert vermag ich nur noch zu beten:  Herr, lass ihn ruhen in Frieden!