Sonntag, 16. Oktober 2011

Panem et Circenses

Ein Anruf am Abend. Die Frau am Telefon schießt gleich los: Auf einer Reise nach Israel hat man in ihrer Gruppe ausführlich über den Besuch des Papstes diskutiert. Kurz gesagt: Alle waren dagegen. Nicht gegen den Papst, wohl aber gegen das, was er gesagt hat. Aber noch viel mehr hat man sich über das aufgeregt, was er nicht gesagt hat.

Und dann kommen alle diese Themen wie aus der Pistole geschossen. Was denkst du über...(Luft holen): Wiederverheiratung, Frauenweihe, Gemeinsames Abendmahl, Demokratie in der Kirche und schließlich immer und immer wieder das Thema der angeblich so verklemmten Sexualmoral der katholischen Kirche. Ich kann kaum zuhören: In schneller Folge kommen die Fragen und im Grunde genommen habe ich kaum Zeit zum Antworten. Alsbald erschleicht mich das bittere Gefühl: Es geht auch gar nicht um meine Antworten. Die will man überhaupt nicht hören, geschweige denn sich ernsthaft mit den einzelnen Themen auseinandersetzen. Es geht nicht um einen aufrichtigen Dialog, sondern nur darum, dass ich mir diesen Monolog aus Frust und Forderungen anhöre. 

So ergeht es mir oft in letzter Zeit. Dabei bin ich in puncto Forderungen mit Sicherheit die falsche Adresse. Das wissen meine Monologpartner, aber sie wollen wenigstens meine uneingeschränkte Solidarität (mit wem auch immer) und meine grenzenlose Zustimmung, dass sich in der Kirche gefälligst was zu ändern habe. Jetzt und gleich.

Panem et circenses, Brot und Spiele war das Motto im alten Rom. Die Gesellschaft macht Druck: Wer den Massen gefallen will, der muss mit der Zeit gehen. Zugeständnisse machen und dabei auch mal fünfe gerade sein lassen. Und immer wieder geht es um Brot im gemeinsamen Abendmahl und um vermeintliche Sexspiele. Daher hat man dem Papst bei seinem Besuch eine Liste aller möglichen Forderungen vorgelegt. Matthias Matusek sprach vom Papst als "Oberkellner aus Rom", dem man einfach seine "Bestellungen diktiert" habe: Nun, lieber Kellner der Taverna Romana, bringen Sie bitte mal ein paar nette Geschenke herbei. Der vermeintliche Kellner hat die Erwartungen nicht erfüllt: Ohne Gastgeschenke und ohne Zugeständnisse ist er abgereist. Immerhin: Selbst dem Philosophen David Precht, der sich als Atheist bezeichnet, erschien die Begrüßungsrede des Bundespräsidenten als "unhöflich", habe er doch "seine eigene Biografie" in einen Forderungskatalog an die Kirche umgewandelt. 

Und so wirkt der Besuch des Papstes noch nach: Panem et circenses, Brot und Spiele wurden nicht gewährt, also war der Besuch zwar nett, aber letztlich für die (deutsche) Kirche fruchtlos.

Nun sehe ich das erwartungsgemäß anders: Mich stimmt hoffnungsvoll, dass der Papst den Blick über den Tellerrand geweitet hat. Denn wir Deutschen sind tatsächlich nicht der Nabel der Welt. Wir sind Teil einer Weltkirche. Auf meinem Haus weht eine Vatikanfahne: Was anfangs vielleicht noch ein Gag war (als Gegenpool zur WM-Flaggen-Hysterie), ist inzwischen Überzeugung: Ich gehöre einer Gemeinschaft an, die sich in ihren Werten und Normen weltweit orientiert. Das sollten wir nie vergessen. Denn damit sind wir Katholiken immun gegen nationalistische Tendenzen. Unser Glaube ist nicht deutsch, unser Glaube ist katholisch, weltumspannend. Die deutschen Katholiken machen gerade mal zwei Prozent der Weltkirche aus - und ihre Zahl sinkt beständig. Gemessen an dieser Zahl wirkt es zuweilen paradox und arrogant, mit welcher Selbstsicherheit viele glauben, unsere deutschen Fragen und Vorstellungen müssten den Takt der Kirche vorgeben. 

Der im Juli 2011 in Mannheim eröffnete Dialogprozess lässt daher viele Fragen offen: Ist das überhaupt ein Dialog? Oder geht es nur um Forderungen? Die diskutierten Themen (sofern sie diskutiert werden) kursieren seit Jahrzehnten in der Kirche - jeder Theologiestudent wird regelmäßig damit konfrontiert, wenn nicht sogar belästigt. Aber wo waren die kritischen Stimmen, die während bzw. nach dem Papstbesuch sich gegen diese Forderungsmentalität deutscher Politiker und Parteien wehrten? Warum hat niemand den Mut gehabt, den Forderungen nach Veränderungen zunächst einmal die Forderung nach Dialog, nach Forschung, Studium, Erfahrungsaustausch, Erkenntnisgewinn und Meinungsbildung entgegenzusetzen? Kurzum: Wer wagte es, den vermeintlichen Reformthesen wohlbegründete Antithesen entgegenzusetzen, damit dann in einem dialogischen Prozess eine Synthese gefunden werden kann? Und wer hatte den Mut, die Grenzen des Dialoges aufzuweisen? 

Letztlich war es der Papst selber, der in erstaunlichem Maße die Ruhe bewahrte. Benedikt ließ sich nicht provozieren. Der deutsche Papst ist längst in Rom angekommen und er ist sich bewusst, dass er nicht der Papst der Deutschen, sonder der Papst der weltweiten katholischen Kirche ist. Daher fand er wohlüberlegte und klare Worte und machte bei seinem Besuch zwei Dinge klar: Über Dogmen lässt sich nicht verhandeln. Es gibt im Glauben feste Wahrheiten, die man nicht nach Belieben abändern kann. Was gestern wahr ist, ist auch heute wahr und muss auch morgen noch wahr sein. Damit widersprach er der in unserer Zeit so beliebten Relativierung der Wahrheiten. Kirchliche Fragen lassen sich nicht mit einem Federstrich klären, sie bedürfen der theologischen Diskussion und sorgsamer Abwägung. Und zweitens: Alle Reformen und Prozesse innerhalb der Kirche bedürfen der Verankerung in der Tradition und der weltweiten Gemeinschaft. 

Wenn das im Dialogprozess seinen gesunden Niederschlag findet, dann hat er in meinen Augen eine Chance. Anders wird er lediglich viele Bäume das Leben kosten, weil er tonnenweise Abschluss-, Zwischen- und Ergebnisprotokolle hervorbringen wird, die sich im Bücherregal nett ausmachen, aber letztlich nur Studenten lesen - und auch nur weil sie es müssen. Ich spreche da aus leidvoller Erfahrung: Zahllose Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz musste ich mir einverleiben, Texte der Gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer und - schmerzlicher Höhepunkt - die ebenso zahlreiche wie trockene Dokumente über den Konziliaren Prozess über Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Allein der Titel lies mich schon erschaudern.

Der Dialogprozess ist auf fünf  Jahre angelegt, die Themen sind sehr weit gewählt und dementsprechend wird auch die Fülle der Dokumente sein. Man fragt sich, was da am Ende herauskommen soll, außer viel Papier? Was wird man mit dem Ergebnis machen? Man wird es nach Rom schicken, denn da gehört es hin. Und dort wird man sich die notwendige Zeit nehmen, die Thesen aus Deutschland in den weltweiten Kontext der Kirche zu setzen. Und wem dieses Schema bekannt vorkommt, der liegt völlig richtig: Es gibt nichts Neues unter der Sonne (Koh 1,9). So erging es nämlich schon sehr vielen Papieren aus Deutschland: Vor dem Hintergrund der lebendigen afrikanischen und asiatischen Kirche relativiert sich unser deutscher Thesenkatholiziusmus sehr schnell.

Aber: Ist das wirklich das, was die (deutsche) Kirche braucht? Braucht sie nicht vielmehr einen Prozess über den Dialog als einen Dialogprozess? Und zwar darüber, wie man die Grundwahrheiten unseres Glaubens wieder in die Gesellschaft transportiert ohne sich ständig selber im Weg zu stehen? Wie kann es z.B. sein, dass wir Religionslehrer an Schulen haben, die ihre eigene Kirchenkritik an den Schülern abarbeiten (was die meisten Schüler gewaltig nervt)? Wie kann es sein, dass in unseren eigenen Reihen Hauptamtliche jeglicher Couleur lieber in der Kirche politisieren als in der Gesellschaft missionieren? Und wie kann es sein, dass wir in weiten Kreisen der Kirche fast nur noch über die Reform als über den Glauben der Kirche sprechen?

Mich stimmen die vielen Jugendlichen hoffnungsvoll, die mit dem Papst die Hl. Messe in Berlin und die Vesper in Freiburg gefeiert haben. Denn das Verrückte an der Sache ist: Gerade bei Jugendlichen mache ich die Erfahrung, dass eben dieses katholische Festhalten an Werten und Wahrheiten eine gewisse Faszination ausmacht. Wir sind der letzte Fels in der Brandung, die letzte Reibungsfläche, die herausfordert: das ist störend, das ist nervend, das ist Salz in den Wunden unserer Gesellschaft. Aber es ist gerade für Suchende und Heranwachsende auch heilend, bildend und richtungsweisend.

Nach der Wahl Josef Ratzingers zum Papst wurde in Deutschland gejubelt: Wir sind Papst! Jetzt haben viele Zeitungen geschrieben, dass dieser Ruf inzwischen verklungen sei. Ich kann dazu nur sagen: Gott sei Dank!

Im Hinblick auf die deutsche Kirche bleibt mir daher nur ein: St. Gellert hilf!




1 Kommentar:

  1. danke für diese sachlichen anmerkungen. in der tat wundert man sich, dass es unter den bischöfen kaum stimmen in dieser richtung gibt.

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