Dienstag, 3. Mai 2011

Glücklich geschieden

Als ich las, was da in großen weißen Buchstaben auf der Rückscheibe stand, wunderte ich mich. Da stand tatsächlich: "2010 geschieden: Arm, aber glücklich!". Ich schaute auf das Kennzeichen. Nun gut, es gibt ja in den regionalen Befindlichkeiten immer wieder auch ein paar Ortschaften, deren Bewohner man bestimmte geistige Attribute zuteilt. In diesem Fall entsprach das Kennzeichen dem Klischee und lieferte somit eine erste Erklärung für diese seltsame Inschrift.

Aber dann wurde ich doch nachdenklicher und gerne hätte ich den Fahrer persönlich gesprochen: Wie meint er das? Ernsthaft? Ist das sozusagen mobile Satire auf seine Lebenssituation? Wenn schon geschieden, dann mache ich halt das Beste daraus und verkaufe die Scheidung als Glücksmoment? Oder ist es die Abrechnung mit der Ex, die zwar die offensichtliche Genugtuung haben darf, ihren Mann in den finanziellen Ruin getrieben zu haben, aber damit leben muss, dass er trotz allem oder sogar gerade deswegen glücklich ist?

Was bringt einen Menschen dazu, so etwas auf sein Auto zu kleben und dann auch noch in Riesenbuchstaben, damit alle Welt es lesen kann? Das ist doch keine Siegesnachricht, so nach dem Motto: Ich habe durchgehalten und am Ende gewonnen, bin jetzt arm, aber glücklich.


Es ist doch eine vielmehr Niederlage, eine sehr bittere noch dazu und das für alle Beteiligten. Vor einigen Monaten erzählte mir jemand von einem Mann, der nach seiner Scheidung feststellte, dass nun sein ganzer Lebensentwurf "gescheitert" sei. Der Erzähler wies das entrüstet zurück: Nein! Mit einer Scheidung ist man doch nicht gescheitert! Da gibt es doch noch so viele Möglichkeiten, ganz neue Freiheiten und bislang unerschlossene Wege zu neuem Glück. Eine Scheidung beendet nur einen Lebensabschnitt, aber keinen Lebensentwurf.


Eine weit verbreitete Meinung. Eine gesellschaftlich inszenierte Selbsttäuschung. Die Scheidungsrate steigt wieder. Und der Trend geht zur sauberen Scheidung, die (angeblich) niemand mehr weh tut: Schatz, wir trennen uns, aber es bleibt fast alles so, wie es war. Ich kenne inzwischen mindestens vier Kinder, die eine Woche bei ihrer Mutter, dann wieder eine Woche beim Vater wohnen. Inklusive neuen Partnern und selbstverständlich verseht jeder sich mit jedem. Zumindest vordergründig. Man ist Papa oder Mama für eine Woche und genau so regelt man das ausgelagerte Familienleben. Kinder mit doppeltem Wohnsitz und doch völlig heimatlos. Denn der schöne Schein funktioniert nicht so recht: Die Kinder merken sehr wohl, dass da was nicht stimmt. Wenn sich doch alle vertragen - warum trennt man sich dann? Und was ihnen am meisten fehlt, ist die ganz alltägliche Banalität. Der Papa ohne Extraprogramm, der einfach nur da ist. Die Mama, die mich nicht nur wochenweise kennt, sondern richtig. Und den Eltern geht es auch nicht besser: Eine Woche Ruhe und leben nach dem neuen Lebensentwurf, dann wieder eine Woche, in der man sich als der bessere Elternteil beweisen muss. Normal ist da nichts, auch wenn man es noch so oft behauptet. 

Und ist es nicht bei genauerem Hinsehen ein Schlag ins persönliche Kontor? Wer auf sein Auto draufschreibt, dass er geschieden, arm, aber glücklich ist, der hat wohl jede Form der Selbstreflexion aufgegeben. Denn zwischen den Zeilen kann man eine solche vordergründige Siegesbotschaft auch anders lesen: Ich habe mich getäuscht, in mir selber und in dem Menschen, dem ich einst mal am Altar die ewige Treue geschworen habe - bis der Tod uns scheidet, in guten und in schlechten Tagen. Mein Partner, meine Partnerin hat es mit mir nicht ausgehalten. Da will jemand nicht mehr mit mir das Bett teilen, ja, noch nicht einmal mehr unter einem Dach wohnen. Da ist für einen Menschen, der mich mal geliebt hat, meine Nähe unerträglich geworden. Da empfindet jemand mein Weggehen  als Befreiung. 

Geschieden, aber glücklich? Nein! ich wäre in so einem Fall geschieden und depressiv! Denn dass jemand mit mir nicht mehr zusammen leben will, das muss ich doch persönlich nehmen, oder etwa nicht? Da ist doch etwas schief gelaufen in unserer Beziehung, dass da plötzlich kein Platz mehr für mich ist, sei es weil ich für den anderen unerträglich geworden bin oder jemand meinen Platz eingenommen hat.

Am Anfang stand dieses bedingungslose Eheversprechen, das bis zum Tod halten soll. Im Namen Gottes und seiner Kirche verbunden. Und am Ende steht da nur noch der Spruch des Richters: Im Namen des Volkes geschieden.

Eine Gesellschaft, die solch ein Scheitern als Normalität und sogar als Sieg verkauft, macht ihre eigene Grundlage zunichte. Nicht nur die Keimzelle des Staates, nämlich die Familie. Auch die damit verbundenen Werte, die in dieser Form nur noch (konservative) Katholiken hochhalten: Treue, den Willen, sich auch in schwierigen Zeiten aneinander zu reiben und miteinander auszukommen, sich immer wieder neu aufeinander zuzubewegen und als Paar gemeinsam auszurichten. Nicht die Flinte ins Korn werfen, sondern auf dem Fundament der ewigen Treue aufbauen: Gerade das lässt einen erst so richtig schön und in gutem Sinne streiten, in dem Bewusstsein, dass der andere nicht gleich die Koffer packt. 

Und die Kinder spüren sehr wohl, dass da etwas schief läuft, denn gerade sie wünschen sich nichts sehnlicher als Stabilität und bedingungslose Annahme. Wie sollen sie das später leben, wenn sie es selber nicht erleben? 

Inzwischen hat jeder Affe im Zoo und jeder Baum im Stadtpark seinen Paten. Wir haben Patenprojekte für alles. Vielleicht sollten wir Katholiken uns als Beziehungspaten zur Verfügung stellen: Familien, die Kinder einladen, Familie zu erleben. Beziehungen, die halten, was man sich einst vor dem Altar versprochen hat. Unser Zuhause ist dann mehr als unser eigenes Heim: es ist auch ein Zuhause für andere, ein Ort der Begegnung und des Lernens.