Montag, 28. Februar 2011

Keulenschwinger

Lieber Heiliger Bischof Gellert!

Es gibt in unserer Kultur ein paar  historische Keulen, die man zu fast jedem passenden Anlass herausholen kann. Sie eignen sich ideal als Totschlagargumente. Bevorzugt werden vor allem Keulen aus dem Bereich Kirchengeschichte. Schon Manfred Lütz hat in seinem Buch "Der blockierte Riese" von der seltsamen Zweiteilung der deutschen bzw. europäischen Geschichte geschrieben: Das Gute den Deutschen, das Schlechte der Kirche. Also Kreuzzüge, Hexenverbrennung, Inquisition und zuweilen auch der Holokaust, das hat doch alles was mit der Kirche zu tun: Entweder hat sie angeblich allein dafür die Verantwortung zu tragen, oder sie hat - wie am Beispiel des Holokaust - zumindest ihre moralische Verantwortung nicht wahr genommen und das Schlimmste verhindert. Die Logik ist bestechend: Hätte Pius XII. deutlichere Worte gegen den Holokaust gefunden, dann hätte es ihn nicht gegeben. 
Die Hexen? Die hat selbstverständlich die Kirche verbrannt und zwar im finsteren, absolut dunklen Mittelalter. Und dann die Kreuzzüge: Anscheinend einfach so, aus reiner Lust und Laune rief Urban II. 1095 zum Kreuzzug auf und dann zogen die Ritter eben mal los und griffen aus heiterem Himmel unschuldige Moslems im Heiligen Land an. So verkürzt und vereinfacht habe ich das im Geschichtsunterricht gelernt und jahrelang auch selbst so gesehen. Und mich natürlich gebührend dafür geschämt. Wenn ich mit jemand über die Kirche sprach, und derjenige mir dann mal wieder de Kreuzzüge vorhielt, dann habe ich pflichtbewusst nach unten geschaut und mich dafür entschuldigt, dass ich trotzdem katholisch bin. Das Verrückte ist: Mein Professor für Kirchengeschichte hat nichts, aber auch gar nichts dazu beigetragen, diese einseitige dunkle Darstellung zu erhellen. Im Gegenteil: Er machte es sogar noch schlimmer. Er fand es besonders lustig, uns bei einem extra aufgefahrenen "Seminarfrühstück" zwischen Brötchen und Kaffee genüsslich die Foltermethoden des Mittelalters zu erklären.

Diese angeblich so dunklen Kapitel der Kirchengeschichte hat dann mein Bruder erhellt, seines Zeichens promovierter Historiker. Es brauchte nur einen kleinen Hinweis, um das Bild vom "finsteren Mittelalter" anzukratzen: Die meisten Hexenverbrennungen fanden nicht im Mittelalter, sondern in der ach so humanistisch geprägten und lebensfrohen Renaissance statt. Upps, das hat gesessen.

Seitdem fallen auch andere Mythen aus der Kirchengeschichte. Es ist ja nicht so, dass alles nun im strahlenden Licht erscheint, aber die dunklen Kapitel werden jetzt zumindest beleuchtet und erscheinen nicht nur in einem anderen, sondern erstmals überhaupt im Licht.

"Wen interessiert's?", könnte man fragen. Leider zu wenige, aber es sollte mehr interessieren. Dass die Inquisition zum Beispiel genau das Gegenteil einer mordenden Männertruppe mit Folterfantasien war, sondern der abergläubigen Lynchjustiz ein Ende setzte und Rechtssicherheit brachte. Auch wenn die damalige Vorstellung von "Recht" uns heute fremd erscheint. Und erst recht das ganze Gedankengebäude und Weltbild, indem es so etwas wie Hexerei gab - wobei wir heute interessanterweise in vielen esoterischen Spielarten genau dieses magische Denken und Handeln wieder finden, für das wir den mittelalterlichen Menschen mitleidig belächeln. Aber dort, wo die Inquisition funktionierte, gab es kaum oder nur wenige Hexenverbrennungen, bei denen tatsächlich Menschen (und nicht Strohpuppen) hingerichtet wurden. Dass das System in Deutschland nicht funktionierte lag an einem ehrgeizigen Inquisitor, der gerne Großinquisitor geworden wäre. Weil er es nicht wurde, schrieb er aus Frust den "Hexenhammer", ein Buch, das außerhalb Deutschland keine Bedeutung hatte, aber immer wieder als das Handbuch der Inquisition vorgestellt wird. Nachzulesen ist das in dem spannenden Buch mit dem provokanten Titel: "Eine kurzgefasste Verteidigung der Heiligen Inquisition" von Hans Conrad Zander.

Aber ist das noch aktuell? Ja. Denn erstens habe ich einfach keine Lust mehr, als Katholik mich ständig für die Vergangenheit zu entschuldigen. Und zweitens, und das ist das viel wichtigere, machen die Keulenschwinger jeden normalen politischen und theologischen Dialog unmöglich.

Aktuelles Beispiel gefällig? Der türkische Ministerpräsident hält in Düsseldorf eine Rede vor ca. 10.000 Türken und verspricht ihnen die "Unterstützung und den Schutz der Türkei". Man fragt sich: Schutz wovor oder vor wem? Sind die türkischen Mitbürger bei uns gefährdet? Und falls ja: Brauchen sie dann den Schutz der Türkei? Sind wir selber nicht in der Lage, mit unseren freiheitliche demokratischen, rechtsstaatlichen Mitteln die Menschen in unserem Land zu schützen - ganz gleich, welche Nationalität oder Religion sie haben?

Brisant wird das Ganze auch dadurch, dass in der Türkei die Religionsfreiheit nur theoretisch existiert. Es ist erstaunlich, dass Unionsfraktionschef Volker Kauder überhaupt weiß, dass z.B. in der Türkei Christen das Leben schwer gemacht wird und das anhand der Grundstücksenteignung rund um das Kloster Mor Gabriel belegt. In der deutschen Presse wurde das kaum erwähnt.

Noch erstaunlicher ist, dass Kauder überhaupt wagt, so etwas anzuprangern und von der Türkei die "volle Religionsfreiheit" einzufordern. Nicht überraschend ist allerdings der Gegenwind - und da kommt sie wieder, die kirchenhistorische Keule: Gernot Erler von der SPD-Fraktion mahnt Kauder, "nicht allzu sehr in die Fußstapfen der Kreuzfahrer zu treten".

Ach ja, Kreuzzüge, dazu gäbe es eine Menge zu sagen. Nur eines: Ich habe mich irgendwann mal gefragt, warum eigentlich 1095? Warum nicht 200 Jahre früher oder 400 Jahre später? 1071 erlitt das Byzantinische Kaiserreich (Ostrom) bei Mantzikert eine harte Niederlage gegen die moslemischen Seldschuken. Der byzantinische Kaiser Michael VII. (1067-78) bat den Westen um militärische Hilfe - vergeblich. Knapp zwanzig Jahre später bat sein Nachfolger Alexander Komnemnos (1081-1118) wieder um Beistand und diesmal löste seine Bitte in Verbindung mit dem Aufruf Urban II. den ersten Kreuzzug aus. Die entscheidende Frage: Was war in den zwanzig Jahren geschehen? Die Hintergründe sind vielfältig: ein erstarkendes Papsttum im Westen (1077 Canossa), die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Heinrich IV. und seinen Söhnen, aber auch schon weiter zurückliegende Ereignisse wie die Trennung der Ostkirche von Rom (1054).  Natürlich gab es auch eine echte und ernstzunehmende Bedrohung durch die Seldschuken, die innerhalb kürzester Zeit den heutigen Nahen Osten eroberten - und damit auch Jerusalem. Für christliche Pilger wurde damit der Weg ins Heilige Land zumindest gefährlicher, zeitweise sogar ganz versperrt.
All das und sicherlich noch viel mehr sollte man wissen, wenn man von den  Kreuzzügen spricht: Sie waren nicht einfach die irre Idee eines verrückten Papstes in einer dunklen Zeit. Es gab durchaus einen Anlass und tiefergehende Ursachen für die Kreuzzugsbewegung.

Schade ist nur, dass bis heute in den Geschichtsbüchern die Hintergründe kaum geklärt werden oder zumindest nicht ankommen. Schlimmer ist, dass selbst in kirchlichen Kreisen oft genug das düstere Bild genährt wird. So leisten wir den Keulenschwingern Vorschub.

Lieber Bischof Gellert, all das passierte nach deiner Zeit. Und vor unserer. Und dennoch prägen diese Ereignisse bis heute das Bild der Kirche. Dass wir uns mit diesen Geschehnissen auseinandersetzen, sie ernsthaft von möglicht vielen Seiten beleuchten und dann mutig für die Wahrheit Zeugnis ablegen, das ist mir ein Seufzer wert: St. Gellert, hilf!

1 Kommentar:

  1. Mir sind schon allzuoft Menschen begegnet, die auf meine Bemerkung, daß die meisten Hexenverbrennungen in der Renaissance stattfanden, und zwar gleichermaßen auf evangelischer und katholischer Seite, mich der Spinnerei oder Lüge bezichtigen. Aber andererseits tun sie das ja auch, wenn ich nur erwähne, daß ich Jesus gut finde und das Christentum sinnvoll.
    Mir ist kein einziger Mensch bekannt, der gleichzeitig über die Kirche pöbelt und ansatzweise weiß, was Kirche überhaupt ist. Kritik gibts von allen möglichen Seiten, Pöbelei nur von den ganz ahnungslosen.

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