Montag, 5. Dezember 2011

Adventsschock

Predigt zum 2. Advent B, 4.12.2011
Ein Neugeborenes bringt es auf 140, beim Säugling sind es noch 120, beim Schulkind immer noch 90 Herzschläge pro Minuten. Beim durchschnittlichen Erwachsenen liegt der Puls bei 60-80 Schlägen pro Minute. Und das den ganzen Tag, rund um die Uhr.

Der Herzschlag ist eine komplizierte Angelegenheit. Die verschiedenen Teile des Herzens, die Kammern und die Klappen müssen genau aufeinander abgestimmt sein. Ganz gefährlich ist das sog. Kammerflimmern: Das ist ungefähr so, als würde der Organist ein Lied anstimmen und dann würde jeder singen, was ihm gerade einfällt. Einen oder zwei Sänger, für die Takt und Rhythmus Fremdwörter sind, kann die Gemeinde verkraften. Wenn aber alle durcheinander singen, geht es schief.

Nicht anders ist das beim Herz: Wenn der gemeinsame Takt fehlt, dann beginnt das Herz zu flimmern: Alles schlägt wild durcheinander, so dass kein Blut mehr durch das Herz fließen kann. Statistisch gesehen ist dieses Kammerflimmern eine der häufigsten Ursachen für den plötzlichen Herztod. Da hilft Ihnen auch die beste Herzdruckmassage nur wenig: Gegen dieses wilde Durcheinander kommt man kaum an.

Deshalb findet man inzwischen an vielen Stellen in der Öffentlichkeit solche Geräte. Dieser sog. „Automatisierte Externe Defibrillator“ kann Leben retten. Das Gerät ist einfach zu bedienen: Es sagt Ihnen, was Sie tun müssen. Sie müssen es nur öffnen, einschalten und am Körper des Patienten anschließen. Das Gerät erkennt den Herzrhythmus und im Falle eines Kammerflimmerns empfiehlt es Ihnen, einen starken elektrischen Schock auszulösen. Sie müssen dann nur auf die entsprechende Taste drücken und schon jagen je nach Gerät ca. 220 V durch den Körper des Patienten.
Nun werden Sie sich vielleicht wundern und fragen: Wie bitte? So etwas soll Leben retten? Ist es nicht eher so, dass ein Griff in die Steckdose lebensgefährlich sein kann?
Und tatsächlich: Mit diesem Stromstoß wird das Herz erst einmal abgeschaltet. Aber das ist notwendig. Bleiben wir beim Organisten: Wenn wir alle durcheinander singen, wird er vielleicht irgendwann mal kräftig auf die Tasten hauen und laut Ruhe brüllen. Wir zucken dann alle zusammen, hören auf zu singen und sind still. Dann erst kann der Organist versuchen, uns neu einzustimmen und mit uns das Lied im richtigen Takt und Rhythmus zu singen.

So ähnlich wirkt der Defibrillator: Er schaltet das Chaos, das Kammerflimmern am Herzen, ab und sorgt für Ruhe. Danach können wir mit Herzdruckmassage versuchen, den natürlichen Rhythmus wieder in Gang zu bringen.
Übrigens: Sie brauchen keine Angst zu haben, dass Sie den Patienten versehentlich grillen: das Gerät gibt den Stromstoß nur frei, wenn es vorher auch ein Kammerflimmern festgestellt hat.

Wenn es mir gelungen ist, Ihnen die Angst vor diesem Gerät zu nehmen und Sie zu ermutigen den AED im Ernstfall einzusetzen, dann war die Predigt bis hierhin nicht sinnlos. Manche Predigten können gewissermaßen Leben retten.

Damit Sie ihr eigenes Leben auch retten können, gibt es den Advent. Ja, Sie haben richtig gehört: Der Advent ist die Zeit zum Leben retten. Nein, werden Sie sagen: Der Advent ist bestenfalls die Zeit zum Plätzchenbacken und Glühweintrinken. In den meisten Fällen ist der Advent eher die Zeit, in der man von Besinnung zu Besinnung hetzt und sich ständig fragt, was man wem schenkt, wem man noch etwas besorgen muss, was man am Heiligen Abend essen soll und ob man der Großtante mütterlicherseits tatsächlich noch eine Weihnachtskarte schicken muss. Advent ist keineswegs die Zeit der Ruhe und der Stille, eher der betriebsamen Hektik.

Dabei sollte der Advent doch die Zeit sein, in der wir unser Herz für die Ankunft Jesu bereiten. Wer das übrigens nur mit Glühwein und Weihnachtsplätzchen versucht, wird an Weihnachten vielleicht keinen Führerschein in der Tasche, dafür aber ein paar Kilo mehr auf den Rippen haben. Die Vorbereitung auf das Kommen des Herrn, auf die Ankunft Jesu, hat wenig mit Plätzchenduft, heimeliger Stimmung am Adventskranz und Lebkuchenhaus zu tun.

Advent hat vielmehr damit zu tun, unser Herz für die Ankunft Jesu zu bereiten. Im heutigen Evangelium haben wir nichts von Plätzchenbacken und Geschenkeeinkauf gehört. Johannes der Täufer fordert uns vielmehr zur inneren Vorbereitung auf: Bereitet dem Herrn den Weg, ebnet ihm die Straßen. Mit diesem flammenden Appell knüpft Johannes an die uralten Worte des Propheten Jesaja an, die wir in der ersten Lesung gehört haben. Jesaja geht sogar noch ein Stück weiter, indem er die ganze Welt in diese Vorbereitung mit einbezieht und auch das Ziel dieser Vorbereitung deutlich hervorhebt: Alles zielt darauf hin, die Herrlichkeit des Herrn den Menschen zu verkünden: Seht, da ist euer Gott!

Also nicht: Seht, da sind die Geschenke, da steht der Glühwein, da sind die Plätzchen und mittendrin der Tannenbaum.
Es gibt im Gotteslob nur ein einziges Lied, das dieses Evangelium aufgreift: In der Nr. 113 heißt es im Text:
Mit Ernst o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt,
bald wird das Heil der Sünder, der wunderstarke Held,
den Gott aus Gnad allein der Welt zum Licht und Leben
versprochen hat zu geben
bei allen kehren ein.

Es mag uns verwundern, dass hier der Advent als eine ernste Zeit dargestellt wird. Der Text stammt von Valentin Thilo, der dieses Lied 1642 gedichtet hat. Der Mann hatte es nicht leicht: Zwar war er zu dieser Zeit ein angesehener Professor, aber zuvor hatte er viel Bitteres erlebt. Seine Eltern starben an der Pest, der Dreißigjährige Krieg hinterließ Spuren der Verwüstungen und Not.
Der Text drückt die Ernsthaftigkeit des Lebens aus: Die Sünde, unser Versagen, unsere  schlechte Tat, unsere Schwäche ist Bestandteil des Lebens und die Welt braucht nichts dringender als das Heil der Sünder, den wunderstarken Held, der uns aus dem Dunkeln ins Licht des Lebens führt. Zum anderen strahlt in dem Lied aber auch die Gewissheit auf: Gott sendet den versprochenen Erlöser und daher ist es an der Zeit, sich ernsthaft auf ihn vorzubereiten. Nicht nur ein wenig, sondern ganz und gar radikal brauchen wir einen Neuanfang, eine Ausrichtung auf Christus hin.

Wir brauchen im Grunde genommen so etwas wie einen spirituellen Defibrillator: Den Mut, alles, was uns an der ernsthaften Vorbereitung auf Weihnachten hindert, bildlich gesehen platt zu machen. Wie oft hören wir im Advent, dass sich die Menschen über die vielen Termine, den Stress und die Hektik beklagen? Keine Zeit der Ruhe und der Besinnung? Alle zerren von allen Seiten.

Was in der Medizin gilt, das gilt gewissermaßen auch für die Theologie: Der Theologe empfiehlt gegen das geistliche Kammerflimmern den spirituellen Defibrillator: z.B. die Bibel. In diesem Buch steckt die Glaubenskraft und von über 1000 Jahren. Da finden Sie Menschen, die in allen Lebenslagen mit Gott gerungen und am Glauben gewachsen sind. Es gibt in der Bibel nichts, was es nicht gibt. Das ganze Leben kommt darin vor und wird im Angesicht Gottes gedeutet.
Prüft alles und behaltet das Gute (1 Thess 5,21), hat Paulus einst seiner Gemeinde empfohlen. Entscheiden Sie sich zu einem mutigen Schritt: Prüfen Sie alles und streichen Sie dann, was sie nicht brauchen. Statt der Großtante achten Grades noch ein nichtssagendes Geschenk zu besorgen, beten Sie für sie. Wer weiß: Vielleicht ist das genau das, was sie am dringendsten braucht und sich am meisten wünscht?
Haben Sie den Mut, alles erst einmal abzustellen, damit sich dann Ihr Herz ganz neu auf den Advent ausrichten kann und einen neuen, lebendigen Adventsrhythmus findet. Ich bin mir bewusst, dass wir als Gemeinde sozusagen von Risiken und Nebenwirkungen betroffen sein können. Aber für uns kann weniger ja auch mehr bedeuten: Weniger Stress und Hektik, dafür aber ein wirklich besinnliches, ein tieferes, fröhlicheres und zugleich ernsthafteres Weihnachtsfest, bei dem man spürt: Wir sind vorbereitet, wir erwarten tatsächlich die Ankunft des Herrn. In diesem Sinne möge die erste Zeile des Liedes  in uns nachklingen:

Mit Ernst o Menschenkinder, 
das Herz in euch bestellt


1 Kommentar:

  1. Oh Gerdi, das ist eine wunderschöne Metapher und eine geniale Predigt!!! Wie recht du doch hast... Ich glaub, ich muss mal zu dir in den Gottesdienst gehen :)
    PS: mit dem EKG würd ich mal zum Kardiologen gehen ;)

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