Dienstag, 7. Juni 2011

Flurschaden

Mein Freund, der Baum, ist tot - die Sängerin Alexandra trällerte diese Worte 1968. Mir ist das Lied noch aus Kindertagen bekannt. Etwas oberhalb unseres Hauses lag eine große Wiese, auf der es eine Art Höhle gab, die durch Bäume und Büsche gebildet wurde. Das war für alle Kinder aus der Nachbarschaft der geheime Treffpunkt. Auf den Bäumen konnte man prima herumklettern (aber auch herunterfallen). Trotz Höhle und Klettern, trotz Äpfel - ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, einen Baum als meinen Freund zu bezeichnen.

Im Studium wurde mir der Baum nahe gebracht. Komisch nur: Ich studierte nicht Forstwirtschaft oder Biologie, sondern Praktische Theologie. Und bei den Bäumen wurde es sehr praktisch - Meditationen in allen Variationen: Baumscheibe betrachten, Jahresringe zählen, Rinde ertasten und riechen, Zweige knicken und die Bruchstelle meditieren - ach, was kann man damit alles machen! Und das Ganze irgendwie mit dem eigenen Leben verbinden: Eine Delle im Jahresring deutet auf eine alte Verwundung des Baumes hin - tragen wir nicht alle alte Verwundungen in uns? Können wir nicht unser ganzes Leben als Jahresringe darstellen? Wo sind wir verwurzelt? Wer knickt unsere zarten Zweiglein und erzeugt Bruchstellen? Was verleiht meinem Leben frische grüne Farbe, ist für mich die Luft, die mich am Leben hält? Wie sieht es mit meiner Rinde, mit meiner Außenhaut aus? Und so habe ich für meine Legematerialien fleißig Baumscheiben angefertigt und Tannenzapfen gesammelt, damit auch ich für die nächste Baumbetrachtung im Kindergottesdienst, Religionsunterricht und wo auch immer gerüstet bin. Nur ein Borkenkäfer fehlt mir noch.

Toll, was man alles aus einem Baum lesen kann! Symboldidaktisch sehr ergiebig und deshalb wird er auch ausgiebig in der Katechese und im Religionsunterricht verwendet. Schließlich ist der Baum ökumenisch, ja sogar religionsverbindend, muss doch schließlich jeder irgendwann mal Wurzeln schlagen.

Allerdings bleibt ein komisches Gefühl zurück: Was hat das Ganze mit Jesus zu tun? Es gibt eine uralte Verbindung zwischen Baum und Kreuz: Die Kirchenväter sehen im Baum des Kreuzes den neuen Baum des Paradieses, den neuen Baum des ewigen Lebens. Das weiß ich aber nicht vom Studium her: Da haben wir Bäume umarmt, Baumscheiben ertastet, Rinde gefühlt und Blätter zerrieben und gerochen, aber die Theologie ging irgendwie verloren. Wir haben das Symbol ertastet und erlebt, aber die Kirchenväter haben das Symbol gedeutet - und zwar theologisch.

Ortswechsel: Waldfriedhof. Bestattung unter einem Baum. Die Kirche hat damit so ihre Probleme: Bestattungskultur hat ihren Wert, Trauer braucht einen geschützten Ort. Der Tod ist nicht einfach die Rückkehr in die Natur. Wir glauben an die Auferstehung und nicht die Kompostierung. Dumm nur: Wir haben Probleme, unsere Position zu vermitteln. Und mir dämmert: Das ist  auch ein wenig hausgemacht. Sind die Waldfriedhöfler am Ende vielleicht diejenigen, denen wir in der Grundschule dein Freund, der Baum, nahe gebracht haben? Hausgemachter Flurschaden sozusagen. So mancher von den Waldfriedhöflern argumentiert mit auffallend ähnlichen Sätzen, wie ich sie in den Meditationen während meines Studiums hörte.

Symboldidaktik ist gut und schön, aber wie beim Beton kommt es auch darauf an, was man daraus macht. Vor allem: Aus WAS man was macht. Symbol ist nicht eben Symbol. In unserer Liturgie gibt es besonders in Kinder- und Familiengottesdiensten ein Inflation der Symbole. Man wundert sich, was da alles in die Kirche geschleppt wird wird. Mit ein wenig Fantasie kann man aus allem irgendwas weitläufig Christliches herausziehen. Jesus, der Schraubenzieher: Wenn bei dir eine Schraube locker ist, dann hilft er dir. Jesus, der Filzpantoffel - damit wir im Dunkeln keine kalten Füße bekommen....meine Frau ist überzeugt, ich könnte aus allem irgendwas machen.

Man sieht: Die Herausforderung ist eher rhetorischer als theologischer Natur. Nur bleibt es eben auch weitläufig, seltsam unkronkret, menschlich und manchmal auch irgendwie mit sanfter Gewalt zurechtgebogen.

Willi Hoffsümmer, der Papst der Symbolkatechese, hat in seinen Büchern zahlreiche Gottesdienste und Ansprachen mit Symbolen veröffentlicht. Manche davon sind theologisch schlichtweg falsch: Dass er z.B. die Dreifaltigkeit mit den verschiedenen Aggregatzuständen von Wasser erklärt, ist nur nett, aber theologisch gesehen Modalismus vom Feinsten - und der wurde von der frühen Kirche als Irrlehre verurteilt. Warum er nun vor Pfingsten und Dreifaltigkeit  in so vielen Gottesdiensten wieder auferstehen darf? Weil sich viele einfach sagen: Ein besseres Modell haben wir nicht, und so richtig verstehen können wir es auch nicht. Also nehmen wir halt das. Außerdem wirkt es und sieht es gut aus, wenn man da vorne mit Eis, Wasser und Dampf hantiert. Das bleibt den Kindern gut in Erinnerung. Was soll's, wenn die Erinnerung leider von einer falschen Wahrheit kündet.

Es wäre gut, wir würden uns auf das besinnen, was wir seit 2000 Jahren als himmlische Schätze in irdischen Gefäßen mit uns tragen: Symbole, Realsymbole, die sich bewährt, aber auch immer wieder die Gläubigen herausgefordert haben. Der Kirchenraum ist voll davon: Altar, Kreuz, Beichtstuhl, Palmzweige, Weihwasser, Taufbecken, Evangelienleuchter, Weihrauch, Kelch, Evangelium, Fahnen, liturgische Gewänder, unsere Gesten, Riten und vieles mehr. Gereift, bewährt in 2000 Jahren - also bitte keine neuen Symbole bevor die alten verbraucht sind!

Ich habe nichts gegen Bäume, aber ich habe großen Respekt vor Lehrern, Katecheten und Predigern, die nicht beim Baum stehen bleiben, sondern den Baum mit dem Kreuz verbinden. Ich habe Respekt vor denen, die sich den ureigensten christlichen Zeichen und Symbolen stellen, anstatt jeden Alltagsgegenstand solange herumzubiegen, bis er gequält und überstrapaziert ein paar christliche Gedanken hervorbringt, die oftmals über einen christlichen Humanismus nicht herausgehen.

Christentum ist zunächst die Beziehung zu Jesus Christus - dann erst zu den Bäumen im Wald. Das Waldsterben ist nicht bedeutungslos und unwichtig, wichtiger und bedeutungsvoller ist für uns aber das Sterben Jesu am Kreuz und die Wandlung des Kreuzes zum Baum des Lebens.

Und wenn uns die Theologie zu schwer wird, dann bleibt der Rat Wittgensteins: Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Und, so fügt der Diakon hinzu:


Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war,
da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab. 
(Weisheit 18,14)

8 Kommentare:

  1. das problem: man hat eine ganze generation von religionslehrern und pfarrern mit hoffsümmer-symboldidaktik und halbfas-pädagogik traktiert.
    die allerwenigsten sind später noch bereit, sich zu bekehren oder irrtümer einzugestehen.

    also braucht es nun mindestens eine weitere generation, bis dieses gedankengut verschwunden ist.

    ob wir das noch erleben werden.........

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  2. Der Heilige Patrick hat seinen Leuten die Dreifaltigkeit anhand eines dreiblaettrigen Kleeblattes naehergebracht.

    Gott laesst sich immer durch seine Schoepfung hindurch erkennen. Sogar in der Wueste. Die Kandelaberkakteen zum Beispiel...
    nein ich hoere jetzt lieber auf zu kandelabern...

    :o)
    lg
    Maerilu

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  3. Wieso? Wir erleben es doch gerade! Da haben wir doch das Beispiel eines Katecheten, der in dieser Der BaumMeinFreundPädagogik erzogen ist, und sich nun seine eigenen Gedanken macht. Ich weiß, da gibt es die Theorie, daß sich neue Theorien nicht dadurch durchsetzen, daß sich die Anhänger der alten Theorien von den neuen Theorien überzeugen lassen, sondern dadurch daß die Anhänger der alten Theorie aussterben, während die Anhänger der neuen Theorie nachwachsen. Otto Hahn hat das mal gesagt, bezogen auf die neue Physik. Haben wir nicht genug Beispiele dafür, daß das so nicht stimmt. Vielleicht werden wir ja doch klüger, wenn wir älter werden.Oder? Wenn ich dran denke, was ich so vor 30 oder 40 Jahren gedacht und getan habe,

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  4. Das RU heute auch anders geht, obwohl man als gläubiger Relilehrer dies so nicht eingeplant hat, zeigte mir eine Relistunde von vor 3 Wochen in einer 6. Kl/Hauptschule.

    Es sollte die erste Std. der UR "Gebet - sprechen mit Gott?!!" sein. Ich wollte stur nach dem Buch vorgehen. Ich habe jedoch erst noch ein Brainstorming gemacht, wo die Schüler sagen sollten, was ihnen zum Begriff Beten/Gebet alles einfällt. Nachdem die ersten Stichworte an der Tafel standen, entwickelten sich plötzlich Fragen, die ich so nicht alle vorhergeshen habe:
    - wenn es Gott doch gibt, wieso gibt es dann Leid?
    - was wäre, wenn Jesus nicht an Gott geglaubt hätte?
    - Jesus hatte doch einen ganz anderen Vater gehabt!
    - warum hat der Priester die Arme ausgebreitet und die Fingerspitzen zusammen, wenn er am Altar steht?
    - ähm, hatte Maria nun Sex mit Gott?
    - und haben wir jetzt drei Götter?

    Ich war ob der Fülle der Fragen und die unterschiedlichsten Richtungen recht überrascht, aber erfreut. Hier bot es sich endlich mal an Katechese im RU zu machen (dieser unnötigen Würzburger Synode zum Trotz).

    Nachdem ich alle Fragen so gut es ging beantwortet hatte, kam noch folgendes Gespräch zustande, das meiner Meinung nach zeigt, dass auch heutige Schüler, die nicht im Glauben erzogen werden, dennoch ein Gespür für den Glauben und die Allmacht Gottes haben:

    Schülerin: "Ich war Messdienerin und mein Pfarrer zeigte und eine kl. Schachtel und sagte, dies sind die Knochen von Jesus."

    Lehrer: "Mmh, nun, dass ist nur schwer möglich. Weiss jmd. warum?"

    Schüler: "Na klar, das geht doch auch gar nicht, weil Jesus doch auferstanden und in den Himmel gefahren ist! Boah, denk doch mal nach."

    Schülerin: "Bedeutet das, dass mein Pfarrer mich angelogen hat?"

    Lehrer: "Nein, er hat nur nicht in dem Augenblick daran gedacht. Er hatte es vergessen."

    **********

    Was sagt man dazu? Ein Schüler, theologisch nicht vorbelastet, hat kein Problem an die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu zu glauben. Ein Priester der es besser wissen müsste, erzählt seinen Messdienern so einen Unsinn!

    Perpetua79

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  5. Ja, das geht mir auch so: Hin und wieder schiebe ich eine "Fragestunde" ein und lasse die Kids einfach mal ihre Fragen vorbringen. Das sind die schönsten Stunden, weil man da wirklich mal mitbekommt, was die Kids so denken und was sie bewegt.

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  6. Und wenn man die Geschichte mit den Bäumen mit indianischer - wahlweise keltischer - Überlieferung verbindet landet man ganz schnell beim Pantheismus und Schamanismus. Da bleibt dann nicht nur Jesus Christus auf der Strecke sondern auch Gott, der dann irgendwie und irgendwo in allem ist, aber nicht mehr ansprechbar und nicht mehr zu bitten, gleichsam anonym.

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  7. Bitte erklärt mir doch einmal, wie ich die Dreifaltigkeit verstehen soll. Mit den Aggregatszuständen ist es einleuchtend......Paula

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  8. Bitte mal hier nachschauen: Hilft das
    Video weiter?

    http://de.gloria.tv/?media=165718

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