Samstag, 12. November 2011

Nachlese: Von Tranfunseln und hellen Leuchten


32. So. Jkrs. A: Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen

Predigt vom 6.11.2011

Vor fast auf den Tag genau 48 Jahren, am 25.11.1973, gab es den ersten autofreien Sonntag in der BRD. Vier Wochen vorher wurde der Nahe Osten durch einen neuen Krieg zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten erschüttert. Aus politischen Gründen drosselten  die arabischen Staaten den Ölexport, es kam zur ersten Ölkrise. Mit mehr oder weniger erfolgreichen Methoden versuchte die Politik, sich vom Öl unabhängig zu machen oder aber Öl einzusparen. Als Spätfolge der ersten Ölkrise durften Sie z.B. letzten Sonntag eine Stunde länger schlafen: Die Einführung der  Sommer- bzw. Winterzeit  ist nämlich auch ein Kind jener Krise.

Wenn Öl knapp wird, dann wird es eng bei uns: Man streitet sich, wie lange es noch genügend Öl für unsere Industrie und unsere Autos geben wird. In einem ist man sich aber sicher: Der Vorrat ist begrenzt, die Förderung wird immer komplizierter und teurer. Und so ist es kein Wunder, dass man längst nach alternativen Energieträgern sucht, um der Ölkrise zu trotzen.


Von einer Ölkrise der besonderen Art haben wir auch im heutigen Evangelium gehört: Hintergrund bildet die orientalische Hochzeit. Es war üblich, dass der Bräutigam seine Braut zum Hochzeitsfest aus ihrem Elternhaus abholte. Zehn Brautjungfern gingen dem Bräutigam mit Öllampen entgegen. Sie führten ihn zum Haus der Braut und von dort zogen sie in einem Festumzug zur Hochzeitsfeier, an der natürlich auch die Brautjungfern teilnehmen durften. Es war ein Privileg, als Brautjungfer auserwählt zu sein, und in der Regel waren es die engsten Freundinnen und Verwandten der Braut.

Im Gleichnis läuft aber was schief: Fünf der Brautjungfrauen geht unterwegs der Sprit aus. Der Tank ist leer und den Reservekanister haben sie nicht dabei. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf: der Versuch, die Situation zu retten, endet damit, dass die fünf törichten Jungfrauen vor verschlossener Tür stehen. Die Hochzeit findet ohne sie statt.

Nun kann man sich fragen: Warum werden sie so hart bestraft? Warum nennt Jesus sie eigentlich töricht? Denn schaut man in den Text, so sind diese Jungfrauen an ihrem Unglück nicht schuld: Sie waren vorbereitet, sie hatten ja Lampen dabei, hatten sich schön gemacht und für die Hochzeit geschmückt. Alle zehn hatten sich auf den Weg gemacht, alle zehn gingen dem Bräutigam entgegen. Was also machten sie falsch?

Wenn einen eine Schuld an ihrer  Ölkrise trifft, dann doch wohl den Bräutigam: Der lässt zwar seine Braut nicht sitzen, aber warten. Und das auch ziemlich lange. Zumindest so lange, dass alle zehn vor Müdigkeit einschliefen. Erst mitten in der Nacht kommt der Bräutigam endlich. Pünktlichkeit war wohl nicht seine Stärke. Seine überaus große Verspätung bringt die Brautjungfern nun in Bedrängnis: Eigentlich müsste man doch erwarten, dass sich der Bräutigam gnädig zeigt, sich entschuldigt, oder sich sogar selber  um das Ölproblem kümmert. Doch das Evangelium erwähnt  an dieser Stelle den Bräutigam überhaupt nicht. Denn soweit kommt es nicht: Die jungen Frauen erarbeiten selber eine Lösungsstrategie.
Man darf sich nicht täuschen lassen: Das sind nicht einfach fünf kluge und fünf törichte Jungfrauen, die  Zehn verstehen sich durchaus als Weggemeinschaft. Es ist nicht so, dass den einen die anderen einfach egal wären oder die klugen die törichten auslachen würden. Nein, man bzw. frau versucht zunächst, das Problem gemeinsam zu lösen. Und dabei stoßen sie sehr schnell an eine Grenze: Die schonungslose Analyse ergibt, dass das Öl definitiv nur für fünf reicht. Man kann nicht teilen. Es geht einfach nicht, weil es nicht für alle reicht. Im Gegenteil: Würde man das Öl aufteilen, dann würde am Ende niemand mehr mit brennender Öllampe dem Bräutigam entgegen ziehen.

In ihrer Not machen sich fünf auf den Weg, um möglichst schnell nachzutanken. Und diese Entscheidung wird ihnen zum Verhängnis, denn am Ende hat die Hochzeitsgesellschaft nicht auf sie gewartet, sondern ist bereits weitergezogen. Am Ende hängt an der Tür des Hochzeitssaales ein Schild mit der Aufschrift: Geschlossene Gesellschaft. Wer zu spät kommt, den straft das Leben.

Und auch hier mag sich Widerstand regen: Wenn es schon die Schuld des Bräutigams war, dass den Brautjungfern das Öl ausging, hätte er dann nicht wenigstens warten können? Oder sie eben später noch in den Hochzeitssaal hinein lassen können? Im Gegenteil: Als der Bräutigam endlich mal zu Wort kommt, kommt keine Entschuldigung für sein Verspäten, zeigt er keine Reue oder Milde, sondern sagt auch noch diese harten Worte: Amen, ich kenne euch nicht.

Liebe Gemeinde, das Gleichnis von den zehn törichten und klugen Jungrauen ist anstößig. Es entspricht so wenig unserem Rechtsempfinden: Wir sind doch nicht Schuld an dem Unglück! Mein Gott, wir waren doch pünktlich, wir waren vorbereitet! Wie hätten wir denn ahnen können, dass der Bräutigam uns so lange warten lässt? Und wir haben uns doch um eine Lösung, um Nachschub bemüht!
Ich weiß nicht, wie Sie es sehen: Ich aber habe Mitleid mit den törichten Brautjungfern. Meine Sympathie gilt ihnen und nicht dem Bräutigam.

In der Tradition hat man das Gleichnis meistens als Ermahnung ausgelegt: Die Lampe eures Glaubens muss leuchten. Sie muss notfalls solange die Dunkelheit der Welt erhellen, bis der Bräutigam kommt. Sorgt also vor, seid klug und seht zu, dass dem Licht des Glaubens nicht das Öl ausgeht. Das ist sicherlich auch eine richtige Deutung des Gleichnisses.

Es gibt aber noch einen anderen Zugang. Weg vom Öl, suchen wir nach einem alternativen Energieträger! Denn es geht vielleicht gar nicht mal um das Öl der Lampe. Der Fehler der törichten Jungfrauen besteht vielleicht gar nicht darin, dass sie nicht mit dem Verspäten des Bräutigams rechneten und kein Reserveöl dabei hatten. Töricht ist vielleicht nur die Art und Weise, wie sie darauf reagieren, indem sie nämlich losziehen und versuchen, noch auf die Schnelle neues Öl zu kaufen.

Denn in der Zwischenzeit kommt der Bräutigam und was dann passiert ist ein rauschendes Fest der Liebe: Wenn der Bräutigam kommt, dann ist keine Zeit zum Warten. Liebe drängt nach vorne. Eine Hochzeit ist ein lebendiges Fest. Der Bräutigam will mit seiner Braut feiern, er hat keinen Blick für die zehn Brautjungfrauen, er nimmt sie nur am Rande wahr. Wahrscheinlich hat er im Liebesrauch noch nicht einmal bemerkt, ob da fünf oder zehn Jungfrauen mit Öllampen standen. Denken Sie doch nur mal an Ihre eigene Hochzeit: Letztlich hat man nur einen Blick für die geliebte Braut bzw. den geliebten Bräutigam. Sicher: Der Blumenschmuck, die Dekoration und die Auswahl der Lieder, all das ist auch wichtig, aber es steht nicht im Vordergrund.
Im Vordergrund geht es bei einer Hochzeitsfeier nicht um Dinge, sondern um Beziehung. Es geht nicht um Öl, es geht um Liebe, um Freude, Freundschaft und Vertrauen.
Das ist der eigentliche Fehler, den somit die klugen wie die törichten Jungfrauen begehen: Der Entschluss, sich diesem Rausch der Liebe, diesem freudigen Festzug zu entziehen, anstatt mit leeren Lampen mitzugehen.


Liebe Gemeinde, Christus ist der Bräutigam, die Kirche ist die Braut. Und wenn der Bräutigam einmal wieder kommt, dann wird er in seiner Kirche nicht nur helle Lampen und leuchtende Vorbilder vorfinden, sondern so manches schwache Licht, vielleicht auch so manche Tranfunsel, die wahrlich keine große Leuchte ist. Aber darauf kommt es letztlich nicht an: In der Taufe wurde unsere Taufkerze am Osterlicht entzündet: Christus hat Ihr Kind erleuchtet, es soll dem Herrn entgegengehen wenn er kommt in Herrlichkeit, heißt es im Ritus. Das wahre Licht, mit dem die Kirche und jeder von uns dem Herrn entgegengehen, ist nicht das Öl in unseren irdischen Lämpchen. Das wahre Licht ist Christus selber. Er will jeden von uns beim himmlischen Hochzeitsmahl dabei haben. Natürlich sollen wir uns  darauf vorbereiten, soll unser  Glaube brennen, sollen wir ein Licht sein in der Welt.

Aber wenn es trotz aller Bemühungen am Ende knapp wird, dann sollen wir nicht töricht sein und in kopflose Panik verfallen, sondern Christus vertrauen: Er ist das Licht der Welt, er hat sogar das Dunkel des Todes erhellt. Da wird er unser Lämpchen auch noch zum Leuchten bringen. Christus ist gewissermaßen unser alternativer Energieträger. In diesem Sinne: Lassen Sie sich von spirituellen Ölkrisen nicht beeindrucken. 

Sonntag, 6. November 2011

In Memoria II

Gräbersegnung: Meine Töchter begleiten mich als Ministranten auf dem Friedhof. Wir gehen von Grab zu Grab. Für meine Kinder ist der Gang über den Friedhof  Religionsunterricht mit den Füßen: Sie sehen und entdecken die Vielfalt der Gräber, die unterschiedlichen Gestaltungen und bewundern die vielen Wege, den Verstorbenen Gesicht und Namen zu geben.Ich war früher selber Ministrant und  lernte auf diese Weise einen sehr kindlichen und zugleich natürlichen Umgang mit Friedhof, Sterben und Tod. Damals habe ich viele Fragen gestellt, heute stellen meine Kinder mir diese Fragen: Sie wollen wissen, wer da begraben ist, wer das war und woran er gestorben ist. Vor allem, wenn es sich um sehr junge Menschen handelt. Besonders betroffen sind sie von Kindergräbern. Sie wollen wissen, warum sich manche Menschen verbrennen lassen, warum andere anonym bestattet werden und was die vielen Symbole bedeuten.

Meine Kinder lernen, die Menschen unserer Gemeinde mit ganz anderen Augen zu sehen: Zu vielen gehören Verstorbene. Hinter jedem Namen verbirgt sich ein Gesicht und eine ganz persönliche Lebensgeschichte: Der Gang über den Friedhof ist ein Gang durch die Geschichte unserer Gemeinde. Inzwischen sind auch mir viele dieser Namen vertraut: Viele habe ich selber gekannt, manchen sogar selber beerdigt. So manchen sehe ich noch vor mir, an viele habe ich noch lebendige Erinnerungen: Die Küsterin, die auf ihre stille Weise in der Sakristei wirkte. Der betagte Arzt, der für jeden ein offenes, freundliches Wort hatte. Der Mann im Rollstuhl, der immer an der gleichen Stelle saß und dessen Platz bis heute leer geblieben ist. Der alte Mann, der seiner Frau so schnell in Grab gefolgt ist. Beide waren zu Lebzeiten ein faszinierendes altes Ehepaar, haben das ganze Leben mit seinen Höhen und Tiefen miteinander geteilt. Jetzt sind sie bei Gott vereint.

Und dann die vielen Hinterbliebenen: Auf dem Friedhof erfährt man im Angesicht der Gräber so manches, was im Alltag verborgen bleibt. Die ansonsten so unscheinbare Frau in der Kirchenbank ist auf dem Friedhof die Mutter, die auch nach über dreißig Jahren noch über den Tod ihres Sohnes trauert. Viele trauernde Mütter und Väter trifft man hier. Aber auch viele längst erwachsene Kinder, die dankbar an den Gräbern ihrer Eltern und Großeltern stehen.
Und auch Leute, die mit Kirche erst einmal gar nichts zu tun haben, sich aber freuen, wenn man sie einfach mal anspricht. "Soll ich ihr Grab auch segnen?" Keiner lehnt ab, im Gegenteil: Manchen trifft man dann noch an einem zweiten, dritten Grab wieder, wo er schon wartet.

Es ist gut zu wissen, dass wir an Tagen wie heute über den Friedhof gehen und all diesen Menschen noch einmal im Gebet für ihren oft so unscheinbaren, stillen, einfachen und doch so lebenswichtigen Dienst danken. Und es ist gut, wenn unsere Ministranten und Kinder Tage wie diese erleben, denn so wachsen sie in die Trauerkultur unserer Gemeinde hinein: Der Tod gehört zum Leben.


Samstag, 5. November 2011

In Memoria

Ich musste zweimal hinschauen bis ich erkannte, was das ist: ausgemusterte Grabsteine. Irgendwann im Sommer bei einer Tour unterwegs entdeckt. Nichts bleibt ewig bestehen. Auch Gräber nicht. Die Steine kommen zurück zum Steinmetz, der die Inschriften entfernt und dann den Stein wieder neu verwendet.

In vielen Totenanzeigen liest man Sätze wie: "In unseren Herzen wirst du ewig leben!" oder "Solange noch jemand an dich denkt, bis du nicht tot!". Der Tod hinterlässt eine schmerzhafte Lücke. An vielen Stellen gedenken wir unserer Toten und noch mehr denken wir in unserem Herzen an diejenigen, die wir ganz persönlich verloren haben. 

Und dennoch: Es wäre traurig, wenn das Überleben des Todes vom Gedenken der Hinterbliebenen abhängen würde. Denn irgendwann gibt es niemanden, der sich noch in Liebe an mich erinnert. Unsere Namen verblassen und selbst in Stein gemeißelt überlebt mein Name meinen Tod nicht auf ewig. Wer davon sein Heil abhängig macht, der wird spätestens dann in tödliche Vergessenheit geraten, wenn der Friedhofsgärtner den Grabstein abtransportiert.

Man kann nicht allein in der Erinnerung weiterleben. Nach dieser Lesart von Auferstehung wären all die Personen, die es aus welchen Gründen auch immer in unsere Geschichtsbücher geschafft haben, noch "lebendig", mein Urgroßvater aber eben tot. Und es sind nicht unbedingt die Guten und die Besten, die es in die Geschichtsbücher geschafft haben.

Nichts bleibt ewig. Auch nicht der Grabstein mit meinem Namen. Gut zu wissen, dass Gott mir versprochen hat: Ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir! (Jes 43,1) 

Wenn wir morgen mit Weihwasser unsere Gräber segnen, dann erinnern wir uns an die Taufe, wo Gott uns mit unseren Namen angesprochen hat:  Mein Name in Gottes Hand - Hoffnung über den Grabstein hinaus.